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8 7.
Das verbindliche Prinzip und seine Üebertragung
auf das Problem.
Wir formulieren unser Problem mit ENDEMANN folgender-
maßen: Erscheint es rechtlich zulässig, daß eine
unter Verletzung des Gesetzes aber formgemäß vor-
genommene Vormundsbestellung als eine kraft Ge-
setzes nichtige und daher nicht existierende be-
trachtet werden kann, oder erheischt nicht vielmehr
die gerichtliche Verfügung als amtliche Formhand-
lung so lange eine absolute Anerkennung, bis sie
von der zuständigen Behörde in richtiger Form be-
seitigt ist? — Absolute Unwirksamkeit (d. h. Nichtigkeit im
Sinne des Privatrechts) oder Gültigkeit (wenn auch nicht unan-
fechtbare, vernichtbare), das ist die Frage! —
Während das Privatrecht von dem Grundsatz beherrscht wird,
daß das mangelhafte, vom Gesetzgeber mißbilligte Rechtsgeschäft
nichtig ist ($ 134 BGB. verbietet jede Normenwidrigkeit), so daß
die Privatwillenserklärung einen vom Gesetzgeber nicht gewollten
Rechtserfolg niemals herbeiführen kann, während also im Privat-
recht sowohl das materiell wie das formell gesetzwidrige Geschäft
nichtig ist”, gilt im öffentlichen Recht umgekehrt
der Grundsatz, daß die Mangelhaftigkeit des
Geschäfts Anfechtbarkeit und nicht Nichtig-
keit bewirkt, —
”) Doch kann der Mangel der Form mitunter im Privatrecht geheilt
werden: vgl. $$ 518, II, 766 S.2 BGB. Gleiches wird sich von den Formal-
akten des Öffentlichen Rechts nicht in gleicher Weise annehmen lassen,
da hier die Form, soweit sie vorgeschrieben ist, eine weit größere Bedeu-
tung hat, indem sie die Authentität verbürgt. Die erhöhte Bedeutung der
Form zeigt sich auch im sozialrechtlichen Teil des bürgerlichen Rechts,
dem Familienrecht, wo eine Formheilung durch Erfüllung ausgeschlossen
erscheint: vgl. $ 1324.
® Von dieser non scripta sed nata lex gehen aus: HELLWIG, System
8 23, S. 61, 62 und Anm. 3a, der mit RG. 64, 193 auf eine spezielle An-
wendung unseres Grundsatzes in HGB. $ 311 hingewiesen hat; und Grenzen