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vor einigen Jahren aus Anlaß des Verfahrens gegen den Obersten a. D. G.
vielfach erörtert worden sind, werden in dieser Schrift einer erneuten ein-
gehenden Prüfung unterworfen. Sie beginnt mit einem ausführlichen Be-
richt über den erwähnten Rechtsfall und seinen gerichtlichen Verlauf, aus
welchem die sich daran knüpfenden rechtlichen Streitfragen sich ergeben.
Die Erörterungen des Verf. zerfallen in zwei Teile, von denen der erste die
geschichtliche Entwickelung der Militär-Ehrengerichtsbarkeit, der zweite
das jetzt geltende Recht auf Grund der EGV. vom 2. Mai 1874 behandelt.
In dem ersten Teile wird zunächst dargestellt, wie sich die Ehrengerichts-
barkeit von der Disziplinargewalt loslöst und sodann die preuß. Verordn.
vom 20. Juli 1843 einer näheren Betrachtung unterzogen. Der Verf. wen-
det sich gegen die Ansicht, daß diese V. durch ihre Verkündigung in der
Gesetzsammlung die Kraft eines (formellen) Gesetzes erhalten habe; dies
sei nur der Fall hinsichtlich der Zeugenpflicht und der zeugeneidlichen
Vernehmung von Zivilpersonen in militär-ehrengerichtlichen Untersuchun-
gen. Für die Armee sei diese „Veröffentlichung“ bedeutungslos gewesen.
Ebensowenig haben nach der Ansicht des Verf. die Preuß.-Verf.-Urk. und
Art. 61 der RV. an der rechtlichen Natur der EGV. etwas geändert, worin
ibm beizustimmen ist. Der zweite 'leil der Schrift beginnt mit der Fest-
stellung, daß Art. 37 der preuß. VU., welcher Bestimmungen über den
Militärgerichtsstand des Heeres und die Militärdisziplin im Heere trifft, die
Militär-Ehrengerichtsbarkeit nicht erwähnt. Dies müsse seinen besonderen
Grund haben und der Verf. erklärt als die am nächsten liegende Annahme,
daß man die Ehrengerichtsbarkeit dem Disziplinarrecht unterordnete und
sie den Vorschriften über die Handhabung der Disziplin zuzählte. Er führt
aber (S. 30 ff.) aus, welche wesentliche Verschiedenheit zwi-
schen dem Militär-Disziplinarrecht und der Ehrengerichtsbarkeit besteht.
Dessenungeachtet geht der Verf. ganz unvermittelt (S. 33) auf die Erörte-
rung über, daß die Vorschriften über die militärische Disziplin im
Wege der Verordnung erlassen werden und daß Erlaß dieser Verordn. in
der Kommandogewalt der Landesherren als Kontingentsherren enthalten
sei, also nicht zu den in derRV. dem Kaiser zugewiesenen Rechten gehöre,
sondern für die preußische Armee und die mit ihr verbundenen Kontingente
dem König von Preußen als solchem, nicht als Kaiser, zustehe. Er kommt
daher zu dem Schlusse, daß die Frage nach der Rechtsgültigkeit der EGV.
von der Beantwortung der zwei Vorfragen abhängig sei, ob sie als „Dis-
ziplinarvorschrift“ formell gültig und mit materieller Rechtswirksamkeit
erlassen werden konnte (S. 39). Diese Fragestellung ist auffallend, nach-
dem der Verf. kurz vorher so einleuchtend auseinandergesetzt hat, daß die
Ehrengerichtsbarkeit keine Ausübung der Disziplinargewalt ist, und sie ist
nicht schlüssig, da die EGV. nicht in den Formen der Militär-Strafgerichts-
ordn. und ihrem Anwendungsbereich erlassen ist. Die formelle Gültigkeit
leitet der Verf. daraus ab, daß der Erlaß der EGV. zu denjenigen Rechten
des Königs gehöre, welche ihm in der Zeit vor Einführung der VU. unbe-