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Hier wird auch einer der vielen allgemeinen Gesichtspunkte aufge-
gedeckt: welche Gefahr in Englands Präjudiziensystem verborgen liegt,
wie lässig es gehandhabt wird, und wie fahrlässig dabei die englische
Wissenschaft zu Werke gehen kann ($ 4).
Noch mehr zeigt sich das in den folgenden Paragraphen, in denen die
tragenden Präjudizien des Urteils gewürdigt werden. Das Ergebnis ist fast
überall mangelnde Gründlichkeit, mangelnde Logik, manchmal anschei-
nend nicht unbewußterweise, und damit in Verbindung häufig mangelnde
„Ehrlichkeit“ im Aussprechen der wahren Gründe. Ein Strecken und Dre-
hen gewaltsam gesuchter und amputierter Sätze scheinrechtlicher Natur,
„Kryptogründe“ typischer Art im Sinne von Ernst FucHs zur Bemäntelung
des einen Leitsatzes: Jede Art von Gewaltsamkeit ist Recht, die das eng-
lisch-amerikanische Kaperrecht und das damit offenbar unbedingt ver-
knüpfte englische Staatswohl zu stützen geeignet ist.
Dabei treten wiederum zwei Gesichtspunkte allgemeiner Natur beson-
ders deutlich hervor. Die Uebereinstimmung der Denkweise des typischen
Engländers und Amerikaners und der Kampf der modernen Gesittung hier
in Form des Völkerrechts (eine pikante Wendung) unter Führung der ro-
manischen Welt gegen die mittelalterlich rückständige, rohe englische
Interessenauffassung. Die moderne Gesittung ist tatsächlich im Krieg un-
terlegen. Wie sich der Verfasser trotzdem gerade durch den Krieg, unter
deutscher Führung, ihren Triumph denkt, zeigt sich schön in dem Zitat
des Engländers RusseL und in dem eigenen „Nachwort“ des Verfassers.
Was sich neben der erstaunlichen Belesenheit und Vertrautheit mit
dem englischen Recht und der Gründlichkeit der Forschungsmethode dem
Leser aufdrängt, ist die ruhige, objektive Bewertung englischer Eigenheit
und fremdländischen Lebens. Im Gegenteil zu dem Eindruck, den die hier
gebotene, sehr gedrängte Sachdarstellung vielleicht bietet, unterläuft dem
Verfasser keine einzige Gehässigkeit oder chauvinistische Bemerkung. Der
Weltkrieg wirft nur sachlich seine Schatten, ein wohltuender Gegensatz
zu vielen Erscheinungen unserer Tage. Auch hierin ist das Schriftchen
ein kleines Kulturdokument. Es zeigt auf diese Weise deutlicher die Jeber-
legenheit deutschen Schaffens und Geistes, als manches andere, das dies zu
zeigen sucht.
So wächst diese kleine Fachschrift weit über ihren Rahmen. Sie wird
zum Ausdruck einer Persönlichkeit und dadurch zur Verkörperung des
besten deutschen Gelehrtentums. Aber selbst darüber hinaus läßt der Ver-
fasser seiner Eigenart — glücklicherweise — die Zügel schießen. Sie be-
schert uns unter den mehreren Nummern des Anhangs fachkritischer Natur
ein Essay über die Brüder Scott. Die beiden Lebensabrisse dieser Richter
sind ein Kabinettsstück literarischer Kunst im besten Sinne. Hier kommt
nach dem Juristen des Verfassers zweite Natur, der Künstler und Kultur-
historiker, zum Wort. Nach der Hauptkost das Dessert. Schade, wenn
sich jemand schon nach dem Braten von der Tafel erheben sollte.
Rechtsanwalt und Dozent Dr. H. Wimpfheimer.