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Oberlandesgerichtsrat Dr. Otto, Die Gewißheit des Richter-
spruchs. Hannover, Helwingsche Verlagsbuchhandlung, 1915.
86 8. 8.
Prof. MENDELSSOHN BARTHOLDY scheidet in der Rhein. Z, Bd. VII
S. 519 die Gerechtigkeitsgläubigen von den Sicherheitsgläubigen, denen es
nur darauf ankonıme, daß überhaupt eine sichere, einheitlich gehandhabte
Regel bestehe, Das Ziel liegt in der Gerechtigkeit und Sicherheit. Ihm
strebt in der Hauptsache auch OTTO in diesen Aufsätzen nach, die als
Sonderabdruck aus der DRZ. erscheinen. Daß der Richterspruch gerecht
sein soll, erscheint dem Richter selbstverständlich; daß er aber auch unter
gleichen Umständen gleich erfolge, ist ein Wunsch, der gerade aus dem
Bestreben nach Gerechtigkeit fließen muß. Wenn er bei denen, die das
Recht anzuwenden haben, häufiger sein sollte, wie bei den Rechtslehrern,
so muß man es vielleicht erlebt haben, wie es auf die Menschen wirkt,
wenn ihre Sache für sie ungünstiger entschieden wird wie eine gleiche
frühere Sache.
So sucht OTTO in verschiedener Weise auf eine Gewißheit des Richter-
spruchs hinzudrängen. Einmal auf dem Wege der Tatsachenfeststellung
durch Einschränkung des Zeugenbeweises (S. 14f.), indem er die Verneh-
mung von Parteien, von ihren Angehörigen, Rechtsvorgängern und Ver-
tretern von einem Antrag der Gegenpartei abhängig machen will; dem
kann nicht gefolgt werden, da der Vorschlag geradezu zu einer Rechts-
vernichtung führen könnte und da im Gegenteil nur die tunlichste Freiheit
in der Beweiswürdigung die Gerechtigkeit fördert. Dann sucht OTTO zu
verhüten, daß der Richter, oft unbewußt, den Tatbestand den anzuwenden-
den Rechtssätzen anpaßt (S. 20f.). Das ist nun eine wirkliche Gefahr,
deren Bedeutung aber doch häufig überschätzt und durch Mehrheit von
Richtern und Rechtszügen herabgemindert wird; auch das Gewicht von
Vorentscheidungen ist z. B. in England und Amerika viel größer als in
Deutschland, wo nahezu für jede vertretbare Ansicht Entscheidungen zur
Verfügung stehen. Weitere Gefahren erblickt OTTO in den Künsteleien
der „Gesetzesbaumeister* und den Abänderungen der Volksvertretungen
(S. 25£.), in der schauspielartigen Gestaltung des Verfahrens, das durch das
Spiel mit Begriffen, Behauptungen und Eideszuschiebungen noch bedenk-
licher werde (S. 33), in der Kluft zwischen Rechtsprechung und Volks-
empfinden (S. 40), in dem Ucberwuchern der Begriffe über die Erfahrungen
(S. 44), in der ungenügenden Ausnutzung richterlicher (S. 47) und allge-
mein menschlicher Erfahrung (S. 50) für die Gesetzgebung, endlich in den
Mängeln der Justizstatistik (S. 51. Ein Anhang B. — die andern können
hier übergangen werden — bespricht den mit dem Grundgedanken der
Schrift eng zusammenhängenden ZEILERSchen Vorschlag eines Auslegungs-
gerichtshofs von dem auf unsern Ausgangspunkt zurückleitenden, sicher zu
weit gehenden Standpunkt aus: „Besser ein sicheres Unrecht als ein stets