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kaiserlichen Verordnungen provisorische Gesetzeskraft zukommt,
sie demnach bis auf weiteres Gesetzen gleichzuhalten sind, können
wir daher von „Kriegsgesetzen“ sprechen. Die Rechtsschöpfung
geschah nun in der Weise, daß die betreffenden Rechtsnormen in
solchen kaiserlichen Verordnungen geschaffen wurden oder aber
in einer allgemein gefaßten kaiserlichen Verordnung dem Gesanıt-
ministerium oder einzelnen Ressortministern in einem bestimmten
Umfange die Ermächtigung erteilt wurde, Rechtsnormen zu schaffen.
Die Rechtsschöpfung fand daher ihren Ausdruck in kaiserlichen
Verordnungen, Gesamtministerialverordnungen und Verordnungen
der einzelnen Ressortminister eventuell auch im Einvernehmen mit
anderen sachlich beteiligten Ministern.
Nunmehr soll zur Erörterung der einzelnen Rechtsgebiete
geschritten werden.
I Verfassungsrecht.
Das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staats-
bürger” enthält eine Reihe von verfassungsrechtlich gewährleisteten
Freiheitsrechten. Ihre unbedingte Aufrechterhaltung erweist sich
in Kriegszeiten als undurchführbar, wenn nicht die Interessen des
Staates einer Gefährdung ausgesetzt werden sollen. Abgesehen
davon, daß sie antistaatlichen Elementen unter den eigenen Staats-
bürgern Gelegenheit zur Schädigung des Staates gewähren, bieten
mit ausdrücklicher Beziehung auf diese Bestimmung des Staatsgrundgesetzes
kundgemacht werden.
Die Gesetzeskraft dieser Verordnungen erlischt, wenn die Regierung
unterlassen hat, dieselben dem nächsten nach deren Kundmachung zusam-
mentretenden Reichsrate, und zwar zuvörderst dem Hause der Abgeord-
neten, binnen vier Wochen nach diesem Zusammentritte zur Genehmigung
vorzulegen, oder wenn dieselben die Genehmigung eines der beiden Häuser
des Reichsrates nicht erhalten.
Das Gesamtministerium ist dafür verantwortlich, daß solche Verord-
nungen, sobald sie ihre provisorische Gesetzeskraft verloren haben, sofort
außer Wirksamkeit gesetzt werden.“
® Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867, RGBl. Nr. 142,