Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 35 (35)

tischen Ereignisse, aus dem sie ihren Ursprung herleitet, zu ver- 
stehen und zu erklären und damit ein neuer Beweis dafür gegeben, 
daß mitunter die Macht der Tatsachen stärker ist, als das geltende 
Recht. Theoretisch betrachtet müßte man zu dem Schlusse kommen, 
daß die Prisengerichtsordnung eigentlich nicht existiert. Jedes 
Gericht könnte, da sie in der Form einer Verordnung auftritt, 
ihre Verfassungsmäßigkeit prüfen und ihrer Rechtsgültigkeit die 
Anerkennung verweigern. Trotzdem wird aber keinem Einsich- 
tigen einfallen, an ihrem rechtlichen Bestande zu zweifeln, denn 
hinter ihr steht die volle Macht staatlicher Autorität. Jeder Staat 
hat, wenn er die Kraft dazu besitzt, das Recht seine rechtlichen 
Lebensformen nach eigenem Gutdünken zuregeln. Das Verfassungs- 
recht ist schließlich nichts anderes als eine solche selbstgewählte 
und selbst geschaffene Regel, die der Staat jederzeit aufheben 
oder ändern kann. Er kann aber noch weiter gehen und Normen 
für eine Aenderung dieser Regel mit der Wirkung schaffen, daß 
jede Aenderung ausschließlich nur in den Formen dieser Normen 
sich bewegen darf. Wenn nun Ereignisse eintreten, die die Ein- 
haltung dieses vorbezeichneten Weges unmöglich machen, so kann 
kein Staat, der weiterleben will, einer selbstgeschaffenen Norm 
zuliebe, tatenlos bleiben. Man mißverstehe mich nicht. Damit 
soll keineswegs eine Theorie entwickelt werden, die jeden Ver- 
fassungsbruch rechtfertigen kann, sondern nur eine Erscheinung 
untersucht werden, die gegeben ist und daher nicht ignoriert 
werden kann. Hier kommt man mit rein juristischen Ueberlegungen 
nicht aus. Verfassungsbruch und Verfassungsbruch ist eben nicht 
dasselbe. Prinzipiell ist die Schaffung der Prisengerichtsordnung 
genau so ein Verfassungsbruch, wie z. B. eine gewaltsame Be- 
seitigung des Parlamentes. Und doch fühlt man sofort, daß es 
sich hier um zwei verschiedene Dinge handelt. Während bei der 
gewaltsamen Beseitigung des Parlamentes ein Konflikt der den 
Staatswillen erzeugenden Faktoren vorliegt und einer dieser Fak- 
toren den Willen des anderen gestützt auf seine tatsächliche
	        
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