— 131 —
Im Resultat erklärt der Verfasser S. 61 ff. im wesentlichen alle Kampf-
mittel nach dem „lebenden“ Völkerrecht für zulässig, welche in dem gegen-
wärtigen Weltkriege zur Anwendung gebracht worden sind, nur mit der
praktisch nichts bedeutenden Einschränkung, daß sie in möglichst schonen-
der Art vorzunehmen seien. Die vom Verfasser aus dieser sehr elastischen
Beschränkung und aus dem Grundsatz, daß der bürgerlichen Bevölkerung
nur solche Leiden zuzufügen seien, welche zur Erreichung des Kriegsziels
erforderlich sind, als unzulässig hergeleiteten Kriegshandlungen sind schon
im Laufe des Krieges von den Engländern und ihren Verbündeten ganz
rücksichtslos vorgenommen worden; sie würden also nach der vom Verfasser
angenommenen „Revolution“ des Völkerrechts auch bereits rechtlich zu-
lässig geworden sein.
Das Völkerrecht enthält nur wenige wirkliche Rechtssätze; zu ihnen
gehört namentlich der Satz: pacta servanda sunt. So lange eine der größten
Weltmächte diesen Satz nicht anerkennt, sondern Staatsverträge zwar ab-
schließt, aber sie bricht, wofern es ihrem Eigennutz entspricht, und Lug
und Trug andern Staaten gegenüber für erlaubt und als die besten Kampf-
mittel erachtet (Flaggenbetrug, heimliche Bewaffnung der Handelsschiffe,
Fälschung des Begriffs der Konterbande, der Blockade usw.), so lange gibt
es kein wirkliches, d. h. mit Geltung und verbindlicher Kraft ausgestattetes
Völkerrecht. Würden die Staaten der Welt sich vereinigen und die geeig-
neten Maßregeln ergreifen, um die von England ausgeübte Tyrannei zu
brechen und England zu einem den Grundsätzen der Sittlichkeit und des
Rechts entsprechenden Verhalten zu zwingen, so würde damit erst die Vor-
aussetzung für ein geltendes und unverbrüchliches Völkerrecht geschaffen
sein. Dann erst würde ein wahrhaft lebendes Völkerrecht an die Stelle
des jetzigen treten, welches zum großen Teil nur ein Scheinleben in Kon-
ferenzbeschlüssen und Lehrbüchern führt.
Laband.
Dr. Kurt Wolzendorff, Privatdozent in Marburg, Staatsrecht und
Naturrecht in der Lehre vom Widerstandsrecht des
Volkes gegen rechtswidrige Ausübung der Staatsgewalt,. (Unter-
suchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte herausgegeben
von A. v. GIERKE. Heft 126.) Breslau 1916. XIV u. 535.
Die Anschauung, daß der Widerstand gegen rechtswidrige Handlungen
des Inhabers der Staatsgewalt und äußerstenfalls die Absetzung, Vertrei-
bung, Tötung des Tyrannen zulässig sei, wird teils auf naturrechtliche, teils
auf positivrechtliche Gründe gestützt, die sich gegenseitig vielfach ergän-
zen und unterstützen. Der Verfasser untersucht in sehr eingehender und
ausführlicher Weise das Verhältnis dieser Gründe zu einander und zu der
bestehenden Verfassung, namentlich zu dem dualistischen Ständestaat. Er
zeigt, daß der große und lange andauernde Einfluß der Monarchomachen