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sondern ums Können (Bewährung in vorangehenden unteren Aemtern u. dgl.)
zu tun. Das vierte und sichtbarste Merkmal des Volksstaates sind
Volkswahl der Verwaltungsbeamten und Abstimmung
des Volkes über bestimmte Verwaltungsakte, besonders
Gemeindereferendum über Ausgaben, die einen bestimmten Betrag über-
schreiten (8.45, wie übrigens mannigfachst auch in österreichischen Gemeinde-
ordnungen). Fünftens besitzen die Verwaltungsbehörden des Schweizer
Volksstaates im vollen Gegensatz zu jenen des Beamtenstaates keine all-
gemeine Polizeigewalt und ebensowenig allgemeine Zwangsmittel. Die
Rolle der coereitio übernehme die dem Straf- oder Polizeigericht zugewiesene
Polizeistrafe als indirektes Zwangsmittel. Das Strafgericht erhält
damit die Funktion eines Verwaltungsgerichts (S. 48f.). Das Charakteristi-
kum des Schweizer Volksstaates findet Verfasser somit in der Abhängig-
keitder Verwaltung von der Justiz, dem sog. regime judiciaire. im
Gegensatz zum regime administratif des Beamtenstaats (S.50). Mag es auch
im Beamtenstaat, bei funktioneller Gleichordnung der drei verschiedenen
Gewalten, einen Kompetenzgerichtshof zur schiedlichen Beseitigung von Kom-
petenzkonflikten geben: im schweizerischen Volksstaat entscheidet der kan-
tonale Große Rat (die Volksvertretung) oder im Bunde die Bundesversamm-
lung als Stellvertreter des über der Justiz und der Verwaltung stehenden
souveränen Volkes (8. 51). Allerdings können auf diese Weise beim positiven
Kompetenzkonflikt auch rechtskräftige Sachentscheidungen „unerfreulicher-
weise“ behoben werden. Einen sechsten Gegensatz sucht FLEINER im
Verhalten des Volksstaates zum Rechtsschutz in Verwaltungssachen und zur
Ausbildung des Verwaltungsrechts (S. 51). Die Schweiz glaubte im Gegen-
satze zur französischen und deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit mit bloßen
Verfassungseinrichtungen auskommen zu können (Unterstellung der Ver-
waltungsbehörden unter die Aufsicht der Volksvertretung, Volkswahl der
obersten Verwaltungsbeamten, Verfassungsgerichtsbarkeit des Bundes), welche
aber samt und sonders tatsächlich nicht ausreichen. Erst nachdem Basel-
Stadt den Anfang gemacht hatte, wurde 1914 die verfassungsmäßige Grund-
lage für eine eidgenössische Verwaltungsgerichtsbarkeit geschaffen (S. 55).
Doch liegen die Voraussetzungen für Auf- und Ausbau eines besonderen
öffentlichen Verwaltungsrechts mangels eines qualifizierten Beamtenstands
ungünstiger als im Beamtenstaat. Hier harre der Wissenschaft eine Auf-
gabe, einen Schatz nationalen, ungebrochenen Rechtsstoffs zu heben und
geistig zu gestalten, wie es MAYER in vorbildlicher Weise mit dem deut-
schen Verwaltungsrechte so gehalten habe. Diese Arbeit wird also — eigent-
lich im Widerspruche mit Vorigem — der Wissenschaft auch im Beamten-
staate nicht erspart. . n
. %*
3. REHM hat sich mit einem dem Jubilar fast noch näherliegenden
Thema eingestellt. Er gibt eine Darstellung des „politischen Wesens der