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Alfons Ingelmann, Ständische Elemente in der Volksvertretung nach den
deutschen Verfassungsurkunden der Jahre 1806—1819. 1914. (Ab-
handlungen aus dem Staats- und Verwaltungsrecht, hrsg. von BRIE
und FLEISCHMANN, Heft 33.)
Daß „ständisch* und „repräsentativ“ bloß konträre Gegensätze sind,
hat schon FRIEDRICH JULIUS STAHL erkannt und betont gegenüber den
Versuchen zwischen diesen beiden Verfassungsformen eine unüberbrückbare
Kluft zu schaffen, wie sie in den Kampfestagen der konstitutionellen Werde-
zeit in beiden Lagern üblich waren. Seitdem hat man das Einende neben
dem Trennenden schauen gelernt und ist mit Vorliebe auf die Kontinuität
der Entwicklung eingegangen. Ueber den „Repräsentantencharakter der
deutschen Landstände“ ist erst kürzlich eine lebhafte Debatte geführt
worden (BELOW-RACHFAHL contra TEZNER-SCHIEFER). Daß umgekehrt in
die neuen deutschen Verfassungen vielfach altständische Prinzipien über-
nommen wurden, war bekannt, ihren Umfang im einzelnen festzustellen
eine lohnende Aufgabe, an der sich obige von BERNHEIM angeregte Arbeit
versucht.
Wie gleich gesagt werden muß, mit nur halbem Gelingen. Vf. untersucht
nur die praktische Verfassungsgesetzgebung und in dieser „die Bestimm-
ungen über die Volksvertretung“ (4); damit fällt von vornherein das reiche,
in der Zeitliteratur steckende Material — ich erinnere nur an die GENTZ-
sche Denkschrift —, das für jene vielfach bestimmend gewesen ist, aus.
Infolgedessen mangelt dem Problem die prinzipielle Durchdringung, statt
einer systematischen Bearbeitung erhalten wir denumerativ eine Fülle von
Einzelzügen. — Natürlich war eine allgemeine Erörterung des Gegensatzes
nicht zu umgehen, aber was I. an dieser Stelle (Abschnitt I Altständisch
und repräsentativ) bringt, enthält so viel schiefe oder geradezu falsche
Behauptungen, verrät dabei eine so bedenkliche Unsicherheit in der Kennt-
nis und Wertung der Quellen, daß dieser Abschnitt eher einen verwirren-
den Rückschritt bedeutet. JOHANN JAKOB MOSER und ACHENWALL in
allen Ehren, aber wir sehen doch heute ein gutes Teil schärfer und klarer
als sie; gerade, weil sie zeitlich den Problemen näher stehen, sind sie ein
bloß relativer Maßstab — das verkennt 1.
Sätze wie: in England gilt die Steuerbewilligung als wichtiges Recht
des Parlaments (26) oder: dort steht dem König die höchste vollziehende
Gewalt allein zu (27), unter feierlicher Berufung auf die Seitenzahlen bei
ACHENWALL, sind doch nichts weiter als Gemeinplätze in altfränkischer
Form und unrichtig dazu, denn auch in England waren nur etwa !ıo bis
1/ı der Einnahmen von der Bewilligung des Parlaments abhängig (der von
I. hervorgehobene Gegensatz zu dem eingeschränkten Steuerbewil-
ligungsrecht der deutschen Stände also bestand nicht in dieser Schärfe)
und die „private legislation® des Parlaments pflegte recht sehr in das an-
geblich der Krone vorbehaltene Gebiet der „Exekutive“ (auch dieser Aus-