Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 36 (36)

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„Großmächten“ sollen auch diesmal die Staaten von vier Seiten her be- 
trachtet werden, als geographisch organisierte Individuen oder Reiche, als 
ethnische oder Völker, als ökonomisch-soziale oder Gesellschaften und hin- 
sichtlich ihrer Verfassungsform (in der Sprache des Thema: geopolitische, 
ethnopolitische, soziopolitische, verfassungs- und kulturpolitische Probleme). 
Hiermit werden „die Staaten nicht (nur) als wandelnde Verfassungsschemate 
oder Rechtssubjekte angesehen, sondern als große Lebewesen, als über- 
individuelle Persönlichkeiten‘, „nicht“ bloß „in der beschränkten Bedeu- 
tung einer Staatsverfassungsurkunde, wie sie unsere akademische Organi- 
sation solange beherrscht hat“, soll von der „Staatswissenschaft“ die Rede 
sein. Hierbei scheint uns wie so oft die juristische und soziale Erkennt- 
nisweise des Staates vermengt zu werden. Beide schließen einander nicht 
aus, sondern ergänzen sich (JELLINER). Kj. will die Staaten historisch- 
politisch betrachten als soziale Erscheinungen mit dem hierdurch be- 
dingten Reichtum der mannigfaltigen Beziehungen und Bedingtheiten ihres 
konkreten Lebens. Daneben aber steht gleichberechtigt die juristische 
Betrachtungsweise, die sich bewußt auf „die Erkenntnis der vom Staat 
ausgehenden, seine Institutionen und Funktionen zu beherrschen bestimm- 
ten Rechtsnormen® beschränkt, wie sie die Verfassungsurkunde zu- 
sammenschließt. Bei dieser seiner historisch-politischen Betrachtungsweise 
nun gelangt Kj. zur biologischen Staatsauffassung ; mit einer Art „Ehr- 
furcht vor dem Leben“ betrachtet er die politischen Mächte als Organismen 
höherer Ordnung, und hier findet er sich in Uebereinstimmung mit einer 
großen Anzahl bedeutender Denker über das Wesen des Staates. Auf die 
Bedenken und Schwierigkeiten, die sich einer solchen Definition des Staates 
gegenüber erheben, soll hier nicht weiter eingegangen werden, zumal Kj. 
selber sich bei diesen begrifflichen Auseinandersetzungen nicht lange 
aufhält, 
Lassen wir uns vielmehr sogleich hineinführen in die Fülle akut-poli- 
tischer Probleme und konkretester Beziehungen innerhalb der staatlichen 
Welt, wie sie der Krieg zeigt. Hinsichtlich der führenden Kräfte scheint 
er zu bestätigen, was in dem früheren Buche als Zukunftsperspektive ge- 
geben wurde. Die „Weltmächte“ katexochen haben als die schwereren 
Körper die bloßen Großmächte in ihren Anziehungskreis gezogen; so sind 
drei Klientelen unter je einem „Patron“ entstanden: Deutschland mit 
Oesterreich, der Türkei und Bulgarien (die Idee eines „föderierten Zentral- 
Europa“, die Kj. vor NAUMAnN verkündet hatte, ist auf dem Marsche), 
England mit Frankreich, Italien, „in gewissem Grade auch“ Japan und 
Belgien, endlich Rußland mit Serbien und Montenegro. Die „planeta- 
rischen“ Mächte, soweit sie in diesem Kriege als Hauptspieler auftreten, 
werden nun unter den oben angeführten Gesichtspunkten einer historisch- 
politischen Betrachtungsweise gewissen Anforderungen unterstellt und aus 
der Art und Weise, wie ihnen die Geschichte diese Existenzbedingungen
	        
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