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rend er die elsaß-lothringische Irredenta als irreal, die italienische als heil-
bar (Oesterreichs Zugeständnisse vor dem Kriege!), die arabische in der
Türkei „vorerst noch als Nebelfleck“, endlich die rumänische als sich selbst
aufhebend, weil doppelseitig hinstellt, sieht er in Serbien und der Ukraine
zwei unlösbare Fälle. Namentlich die letztere bezeichnet er als „eines der
Hauptmotive des Weltkrieges, weil sie zwei Großmächte in einen unheil-
baren Konflikt gebracht hat“. Es handelt sich hier nämlich nicht mehr
um eine „gewöhnliche Irredenta“, wie es die großrussische Propaganda
Oesterreich gegenüber darstellen möchte, sondern wir sind schon bei dem
dritten Typus angelangt, indem die ukrainische Nation an zwei fremde
Staaten, Oesterreich (Ruthenen) und Rußland, aufgeteilt ist. Infolgedessen
kann nun Oesterreich jederzeit den Spieß umdrehen, zumal der ukraini-
sche Stamm Galizien infolge der dortigen liberaleren Politik als sein „Pie-
mont“ betrachtet. Dann aber trifft es Rußland in seinem Lebensnerv, denn
das Land der Schwarzerde bedeutet für diesen Staat einen Wirtschafts-
faktor ersten Ranges und zugleich die Verbindung mit dem Meere. —
Konnte das Zarenreich der Donaumonarchie nur an einer „Außenkante*®
gefährlich werden, wenn es an den Nationalitätsgedanken appellierte, so
bedrohte es den Bestand dieses Staates, indem es das ethnographi-
sche Problem gleichsam in potenzierter Form in den Kampf führte;
nämlich als Rassengedanke. Kj. widmet der Geschichte des Panslawis-
mus eine eingehende Untersuchung, da er diese Bewegung für das „Haupt-
problem des Weltkrieges“ hält. In fesselnder Weise zeigt er, wie sich
hinter dieser idealen ethnopolitischen Verbrämung geopolitische Aspi-
rationen verbergen, wie der Balkanbund seinem Protektor nur einen neuen
Weg zum Mittelmeer sichern wollte, wie darüber hinaus die Einbeziehung
der unter der habsburgischen Krone vereinten Slawen in das „Programm*
nicht nur eine Gefahr für die Zentralmächte, sondern für Europa bedeutet.
„Hinter der Maske des Vorkämpfers für die Rasse grinst schließlich das
Gesicht des Welteroberers hervor.“ Der Krieg hat hier ein schwerwiegen-
des Urteil gesprochen. Durch das Slawentum ist ein großer Riß gegangen;
nicht die Rasse, sondern die Kultur hat als das wunderbare Scheidewasser
gewirkt. „Die große Gegenüberstellung heißt nicht Germanen gegen
Slawen, sondern Germanen plus West- und Südslawen plus finnische Kul-
turstämme gegen die Slawen des Ostens.“ Die Donaumonarchie, die dem
Vf. im Anfang als „eine einzige Beleidigung für den modernen Nationali-
tätsgedanken“ erschienen war, hat als Vertreterin der westlichen Kultur
ihre Anziehungskraft und Daseinsberechtigung erwiesen. „Rußland ist nicht
länger der Kläger in diesem großen Prozeß, es ist der Angeklagte — und
die Anklage lautet dahin, daß es sich im Dienste einer niederen Idee an
einer höheren vergrifien hat.“
Bereits in der 1905 erschienenen (schwedischen) Auflage der „Groß-
'mächte“ hatte Kj. auf das Phänomen der „Autarkie“, in dem sich die For-