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„Verfassungs- und kulturpolitischen* Problem und kommt
— unter dem Einfluß des ungeheuren Schicksalskampfes — zu einem Re-
sultat, auf das wir Deutsche aus innerstem Herzen stolz sein dürfen, das
zu einer Wahrheit zu machen unser tiefster Wunsch, aber auch unser
heiligster Ernst sein muß. Es handelt sich, wie angedeutet, um zwei ent-
scheidende Ideenkomplexe, wobei die befriedigende Lösung des einen
engeren die Voraussetzung einer hoffnungsfreudigen Realisierung des an-
deren weiteren bildet. Ohne in diesem Rahmen auf die gegensätzliche
Entwicklung des konstitutionellen Lebens in England-Frankreich und bei
uns näher eingehen zu wollen, sei hier nur daran erinnert, wie bis zum
Beginn des Krieges ein Jahrhundert an der praktischen und begrifflichen
Klärung dieser Frage gearbeitet hat, ohne daß man die Bewegung als ab-
geschlossen betrachten konnte. Eines war dabei nicht zu verkennen. Die
Neigung, dem anderen Teile gerecht zu werden, war auf unserer Seite
stärker, eber zu stark vorhanden, ganz im Sinne jener „Empfänglichkeit
für fremde Kultureinflüsse“, die Kj. in anderem Zusammenhang an den
Deutschen rühmend hervorhebt. Namentlich die englische Staatsrechts-
wissenschaft hat die eigenartige Variante des Verfassungsrechts, die unser
monarchisch-konstitutionelles Staatswesen darstellt, nie verstanden und
überhaupt als solche nicht anerkennen wollen. Auch bei uns hat man den
vielgerühmten westlichen Parlamentarismus mit anderen Augen ansehen
gelernt, namentlich DELBRÜCKs Buch: „Regierung und Volkswille“ machte
in dieser Richtung neuerdings erwünschte Feststellungen. Trotzdem haben
weite Kreise jene für alles Westliche rosenfarbene, die eigenen Zustände
grau in grau malende Brille noch nicht abgelegt und soeben hat ein sonst
verdienter Forscher eine Schrift über „Das deutsche Volk und die Politik“
geschrieben, in der er „das politische Anderssein Deutschlands gegenüber
andern Staaten und Nationen“ als Hauptgrund der allgemeinen Abneigung
gegen uns erklärt und, was das Wichtigere ist, dabei ein Verdammungs-
urteil über unsere innerpolitische Struktur fällt. Demgegenüber wirkt es
besonders erfrischend, aus dem Munde KJELLENs das uneingeschränkte
Bekenntnis zu der Tüchtigkeit und Haltbarkeit unserer inner-politischen
Zustände zu vernehmen. Er sieht in ihnen die Synthese zwischen „rein
ausgeprägter Staatsidee und rein ausgeprägtem Volkswillen“ (wieweit dies
letztere für die Westmächte zutrifft, darüber vgl. die eben angeführte
Schrift DELBRÜCKs und KJELLENs weiter unten folgende Ausführungen),
nicht nur ein „Zwischen- und Bindeglied, sondern ein Oberglied“ über
These und Antithese. Und den befremdenden Bund dieser beiden glaubt
er sich „psychologisch* so erklären zu können: „Zwischen These und Anti-
these — zwischen Altkonservativen und Altliberalen — bestehen Brücken
zum Verständnis, sie haben einander in langem Kampfe kennen gelernt,
sie haben sogar eine gewisse Neigung ineinander überzugehen, wie der
praktische Absolutismus der englischen Regierung und die anarchischen