Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 36 (36)

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die Auswahl der Delegierten von der größten Bedeutung ist. Es wirkt weiter 
wie eine stille Klage, daß auf beiden Friedenskonferenzen in der Schiedsge- 
richtsfrage Deutschland der „Gegenpol“ der Reformbewegung war (S. 84) 
und die Gelegenheit zur Herstellung und Kräftigung des internationalen 
Vertrauens, das der deutschen Friedenspolitik leider versagt blieb, unge- 
nutzt vorbeigehen ließ (S. 78). Daß das Projekt des Haager Schiedshofs 
auf der ersten Haager Friedenskonferenz schließlich nicht wieder in der 
Versenkung verschwand, war bekanntlich das Verdienst von ZORN, der da- 
mals zur persönlichen Berichterstattung im Auswärtigen Amt erschien und 
die deutsche Reichsregierung von ihrem Widerstand abbrachte. Deutsch- 
land stand wieder vor einer folgenschweren Entscheidung, als auf der 
zweiten Haager Friedenskonferenz erneut die Frage der obligatorischen 
Schiedsgerichtsbarkeit aufgeworfen war. ZORN läßt der Kritik, die FRHR. 
v. MARSCHALL an dem gekünstelten System von „Liste“ und „Tableau“ 
übte, alles Recht widerfahren, doch meinte er, daß bezüglich des Prinzips 
selbst die juristische Kritik, die deutscherseits geübt wurde, das Problem 
nicht vollständig erschöpft habe (S. 86). 
Auch ich bin der Meinung, daß z. B. der zwischen Deutschland und 
England abgeschlossene Schiedsgerichtsvertrag ruhig hätte verallgemeinert 
werden können. Gewiß hätte ein solcher Weltschiedsvertrag ebensowenig 
den Ausbruch des Weltkrieges verhindert, als der deutsch-englische Ver- 
trag eine entsprechende Wirkung geäußert hat. Selbst für das vorbehalt- 
lose Obligatorium mit seiner Beschränkung auf die unbedenklichen Listen- 
fälle gab es keine unüberwindlichen Schwierigkeiten, wenn auch juristische 
Bedenken dagegen vorgebracht werden konnten. Aber warum muß Deutsch- 
land überall als ehrlicher Michel die Hand auf die wunde Stelle legen 
und damit Schmerz erregen? Erscheint die Schiedsgerichtsbarkeit den 
andern Staaten als Allheilmittel, so ist es vorteilhafter für uns, sie werden 
durch eigene Erfahrungen eines besseren belehrt, als daß sich Deutschland 
durch seine lehrhafte Kritik nur immer tiefer in das internationale Miß- 
trauen hineinarbeitet. Das Ausland kann oder will es nicht glauben, daß 
Deutschland nur deshalb dem vorgeschlagenen Obligaterium der Schieds- 
sprechung widersprach, weil deren Leistungsfähigkeit für die Erhaltung 
des Friedens naturgemäß nur äußerst beschränkt ist und Deutschland keine 
unbegründeten Hoffnungen erwecken wollte. Da aber Deutschland keine 
besondere Garantieleistung zugemutet wurde, sucht man den Grund für die 
deutsche Ablehnung wo anders, und so wird denn kräftig gegen die deutsche 
Friedenspolitik gehetzt. 
Ich würde es für richtig gehalten haben, daß man dem Gegner den 
Wind aus den Segeln genommen hätte. Uns mußte vor allem daran liegen, 
daß die internationale Luft wieder rein und den Verdächtigungen gegen 
Deutschland der Boden abgegraben wird. ZORN bemerkt 8. 78: 
„Ich spreche dies mit aller Vorsicht, aber als das durch die Erfah-
	        
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