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gebenenfalls über die Rechtsverfassung hinwegsetzen, in der betr.
Rechtsverfassung bereits ihren Ausdruck gefunden hat, wie z. B.
im Notverordnungsrecht des Landesherrn. Es kann bei dem
Wort „Staatsnotrecht“ aber auch nur an das einer solchen Regelung
zugrunde liegende politische Prinzip gedacht sein, und nament-
lich dort, wo der rechtsstaatliche Gedanke sich noch nicht kräftig
durchgesetzt hat, wird nur zu leicht die Neigung bestehen, diese
politische Formel zur Rechtfertigung der verschiedensten Will-
kürakte vorzuschieben, besonders wenn man den Staat mit dem
Träger der Fülle der ja schlechthin unendlichen Staatsgewalt
und seiner Verwaltung identifiziert. Je nach dem Stand der
Rechtsverfassung wird die eine oder andere Art von „Staats-
notrecht“* in Frage stehen; wo, wie in Deutschland, mindestens
der Zeit vor 1848, das „öffentliche* Recht nur ein Sonderrecht
darstellt, vermöge dessen sich die Verwaltung innerhalb eines
einheitlichen Rechts gewisser Bevorzugungen erfreut, wird die
Neigung bestehen, die auf diese Bevorzugungen zurückzuführende
Ohnmacht des Einzelnen gegenüber Willkürakten unter Berufung
auf jenes politische Prinzip für materielles Recht zu erklären.
Daß man aber auch ohne „Staatsnotrecht“ zu demselben Ergeb-
nis kommen kann, beweist die Aeußerung des preußischen Mini-
sters v. MÜHLER (1837), daß die von der oberen Instanz ge-
billigte Verwaltungshandlung auch rechtmäßig sei!? — welche
Aeußerung noch nicht einmal etwa in Hinblick auf gerichtliche
Urteile, sondern Verwaltungssentenzen fiel.
Das müssen wir festhalten. Denn mehr oder weniger rechts-
staatlich war die Rechtsverfassung in Deutschland stets. Die
Aera der Machtsprüche war in der ersten Hälfte des 19. Jahr-
hunderts überwunden; die Herrschaft des Gesetzes setzte sich
mehr oder weniger überall durch, sei es im Wege der Kodifi-
15 LönınG, Abhandlungen und Aufsätze 1 178/179; vgl. auch BISMARCKS
Lückentheorie (MArcKS, OÖ. v.B, 63).