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schen Willkür zusammen!?”. Ein solches Versagen braucht ganz
und gar nicht auf bösem Willen zu beruhen. Der Begriff der
127 Das ist der Sinn meiner Bemerkung Annalen 1915 S. 328 N. 24, daß
formell eine Militärdiktatur bestehe, wenn, weil und solange keine Stelle
da sei, die eine Kompetenzüberschreitung des MBH. und eine darauf fußende
Gewaltanwendung hindern könne. JW, 1915 S. 1489 verweist demgegenüber
darauf, daß die Rechtsprechung in Strafsachen die Rechtsgültigkeit der
militärischen Verordnungen nachprüfe. Aber eben diese Rechtsprechung
bestätigt meine Auffassung; denn sie billigt dem MBH. eine Stellung zu,
die man 1851 nur hätte andeuten sollen, wenn man das Gesetz zu Fall
bringen wollte. Die Entwickelung ging aber ganz folgerichtig: Schon die
Erklärung des KrZ. für das ganze Reichsgebiet war nicht unbedenklich;
ich selbst habe sie Annalen 1914 S. 645 ff. nicht beanstandet, aber mit dem
Vorbehalt S. 642, daß in dem Existenzkampf der deutschen Nation auch 5
einmal gerade sein müsse. Statt in der Folge das Gesetz zu ändern, setzte
sich die Praxis genau so, wie gleich in den ersten Zivilverordnungen (vgl.
meine Bemerkungen a. a. O. 655) über das Gesetz hinweg, beließ es also
bei dem 5 gerade sein lassen, und ließ es darauf ankommen, ob die Recht-
sprechung nachträglich die schwerwiegende Ungültigkeitserklärung der
meisten mil. Anordnungen aussprechen oder sich der Auffassung der Praxis
anschließen, vielleicht auch ein neues eigenes Rechtssystem aufstellen wolle. —
Es ist bezeichnend, daß bei der Wertung des BZG. fast nur diese formale
Möglichkeit der Willkür Beachtung gefunden und demgemäß den Eindruck
hervorgerufen hat, als sei diese die Quintessenz und der einzig mit dem
Gesetz gewollte Erfolg; MOHL sprach geradezu von einem „der Zeiten eines
Alba würdigen Gesetz“ (BEzoLnD, Mat. der deutschen Reichsverf. 3 518).
Es kann demgegenüber gar nicht oft genug betont werden, wie außer-
ordentlich weitgehend der rechtsstaatliche Gedanke
ım BZG. eingearbeitet wurde. Das Versagen der Ministerverant-
wortlichkeit und der Rechtsprechung kann doch auch in normalen Zeiten
eintreten und ist garnichts dem BZ. eigentümliches. Ich bin der Ansicht,
daß, wenn man sich die Mühe genommen hätte, das BZG. auf Grund der
Materialien im Zusammenhang mit den andern deutschen Gesetzgebungen
zu prüfen, der rechtsstaatliche Gesichtspunkt sehr wohl hätte erkannt und
damit die heutigen Kalamitäten hätten vermieden werden können. Wenn
man natürlich immer wieder in vollem Umfang für materielles („öffent-
liches*) „Recht“ erklärt, was nicht verhindert werden kann, dann braucht
man sich über die heutigen Zustände und Zensurdebatten nicht zu wundern.
Es ist übrigens nicht uninteressant, daß der Staatssekretär des Innern in
der Reichstagssitzung vom 28. Okt. 1916 zugab, daß der MBH. kein Diktator
sei, daß einem solchen gegenüber „die Befugnisse eines MBH. von heute
ganz geringfügig sind“.