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durch die Arbeit dieses halben Jahrhunderts ausgefüllt hat. Seine
programmatische Zuständigkeit auf dem Gebiet der Gesetzgebung,
Rechtspflege, Verwaltung, Haushaltsführung, Diplomatie und nun-
mehr auch Kriegführung ist in allen Teilen Wirklichkeit gewor-
den. Seine Organe sind nicht mehr nur Mittel der Handlungs-
fähigkeit, sondern durch wirkliches Handeln erprobte Lebens-
träger. Ihr Zustand und ihr Verhältnis zueinander hat dadurch
erst volle Geltung erlangt.
Ganz besonders gilt das jetzt für die Kriegszeit von den Or-
ganen der militärischen Macht, an denen aber auch die Haupt-
organe des Reichs Bundesrat, Kaiser und Reichstag, ihre kraft-
gebende und kraftauslösende, verfassungsmäßige Wirksamkeit voll
und ganz entfaltet haben. Das Reich hat damit in der denkbar
schwersten Probe seinem obersten Zweck, dem der Sicherheit, „dem
Schutze des Bundesgebietes“, wie es in den Eingangsworten zur
Verfassungsurkunde heißt, entsprochen.
Auch im Kriegsrecht und selbst im Gebaren der Kriegfüh-
rung wurden die „bewährten Grundlagen“ der Reichsverfassung
behauptet. Es gab da keine gefühlsmäßige Verwischung des Be-
stehenden. Unser Heer steht im Felde als einheitliche Macht,
gegliedert in 4 Kontingente unter gemeinsamem Oberbefehl des
Kaisers und wirkt zusammen mit der Kaiserlichen Marine, so
wie es die Reichsverfassung vorsieht. Jeder Staat übt im Bundes-
rat seine Rechte durch Stimmführung wie in Friedenszeiten.
Bayern übt seine Sonderrechte aus in den Grenzen, die ihm für
den Kriegsfall durch die Verfassung gezogen sind.
Nur soweit der Kriegszustand es unmittelbar erfordert, ruhen
gewisse konstitutionelle Rechte. So unterbleiben die Reichs- und
Landtagswahlen, so tragen die Tagungen des Reichstags einen
außerordentlichen Charakter, so hat der Reichstag einen ständigen
Hauptausschuß gebildet, um für die Kriegsberatungen stets ver-
fügbar zu sein, so hat der Reichskanzler einen ständigen Vize-
kanzler an die Seite gestellt bekommen und so werden auch mit