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Lager spaltete, ein kapitalistisches, arbeitgebendes, halb- oder
viertelgebildetes, besitzendes Proletariat und in eine begehrende,
sensationsbedürftige, im Grund aber doch arme und entbehrende
Masse, mit der eineraffinierte Demagogie einen förmlichen Kultus
trieb. Kapital und Massen, einander fast unvermittelt gegenüber-
gestellt, verrannten sich in einen Kampf um Macht und Herr-
schaft, wobei der Machtbegriff selbst durch rohe Formen des
äußeren Lebens äußerlich und hohl geworden ist.
Bedenken wir diese Erscheinung unseres öffentlichen Lebens,
wie sie allen Einsichtigen vor dem Krieg in grellen Farben und
aufdringlichen Gebärden entgegentrat, so zeigt sich sofort die
Öberflächlichkeit und Voreiligkeit jenes Urteils, welches aus dem
neiderweckenden Zustande wirtschaftlichen Aufschwunges unseres
Vaterlandes den Schluß zieht, daß wir mit all unseren Einrich-
tungen gut gefahren seien und einer hemmenden Einrichtung wie
eines ÖOberhauses im Reich wohl auch in Zukunft entbehren
könnten.
Viele, ja vermutlich die Mehrzahi, werden freilich nach die-
sem Krieg gar nicht geneigt sein, einer tieferen kritischen Nach-
prüfung unserer inneren Zustände vor dem Kriege sich zu wid-
men; sie sehen nur die äußeren Schäden, die der Krieg gebracht
hat und haben kein andres Ziel, als möglichst rasch dieselben
wieder auszugleichen und womöglich wieder zu den Zuständen
zurückzusteuern, wie sie vor dem Kriege waren. Ihnen ist an der
Belebung aller Arbeitskräfte, an der Herstellung guter Löhne und
gesunder Preise, an der Beschaffung von industriellem Roh-
material, Sanierung des Geldmarktes und was dergleichen soziale
und wirtschaftliche Sorgen mehr sind, alles gelegen.
Ein arbeitsfreudiger Reichstag von möglichst großer Aktions-
fähigkeit und Volkstümlichkeit mag ihnen als das trefflichste Or-
gan erscheinen, um den bürokratischen Geist der Regierungen zu
überwinden und das öffentliche Leben mit neuer Triebkraft zu
beschwingen. Von hemmenden Einrichtungen und Stimmen der
Archiv des öffentlichen Rechte. XXXVIII. 1. 9