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sein. die Kräfte zu bestimmen, die an der Leitung der Dinge An-
teil erhalten sollen. Wir brauchen eine vorurteilslosere und viel-
seitigere Würdigung der Anlagen, Verdienste und Fähigkeiten der
Berufenen als wir sie bisher mit unsern bürokratischen Qualifikations-
methoden, grobgebauten Wahlsystemen, höfischen Gunstprotektio-
nen und kapitalistischen Rangierungen in Praxis hatten. Wir
brauchen vor allem auch geeignete Gelegenheiten für die Entfal-
tung staatsmännischer Talente im Reich, die den Zufall möglichst
ausschließen und der wirklichen Bewährung ihr gutes Recht in
der Auswahl sichern. Wir brauchen solche Gelegenheiten jetzt
nötiger, als jene Männer es voraussehen konnten, die sich im
Jahre 1867 um die erste Anlage einer Reichsorganisation verdient
gemacht haben.
Prüfen wir jene Reden, vor allem diejenigen der beiden Führer
im Streit BISMARCK und WINDTHORST, so zeigt sich uns sofort,
daß schon in jenen Reden etwas von dieser Mahnung durchklang.
Vor allem aber drängt es sich auf, daß wir heute mit ganz an-
deren Voraussetzungen und Erfahrungen die konstruktive Anlage
des Reiches betrachten als jene Männer, die ein Neues zu schaffen
hatten, es vermochten.
Damals galt es gleichsam aus dem Nichts ein neues Werk
zu schaffen, denn zu einem Nichts war der deutsche Bund durch
seine innere Ohnmacht und die abschließenden Waffengänge zu-
sammengesunken. Bausteine für das neue Werk waren zwar
vorhanden und ein guter Meister entwarf den Plan. Aber die Bau-
steine waren im wesentlichen dieselben Staaten, aus denen der
deutsche Bund geformt worden war. Aus den um Preußen herum-
liegenden mittleren und kleineren Staaten und aus den 4 süd-
deutschen war das neue Gebilde zu schaffen. Man steckte sich
in den Aufgaben der gemeinsamen Sicherung, Rechtseinheit und
Wohlfahrt hohe Ziele, schuf sich bedeutende Machtmittel und gab
dem neuen Bund kräftige, staatsrechtliche Handhaben, all dies in
Voraussicht einer starken Entwicklung für weite Zukunft. Es
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