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lich auf längere Zeit das herrschende Wahlsystem des Unterhauses
sein wird, so hat dies für die Bildung eines Oberhauses als die
gegebene Tatsache und als Richtschnur zu gelten. Man wird also
dem ÖOberhaus, gleichviel nach welchen Berufungstiteln, vor allem
diejenige wertvollen Elemente zuzuführen haben, die nach jenem
Wahlsystem erfahrungsgemäß keine oder keine entsprechende
Aussicht auf Vertretung haben. Dabei sind die tatsächlichen
Erfahrungen eines längeren zeitlichen Durchschnittes zugrunde zu
legen.
Der gesellschaftlichen Schichtung der Bevölkerung und In-
teressenkomplexe, sowie deren Aenderungen im Laufe der Zeiten
trägt jenes Wahlsystem bei all seinen sonstigen Vorzügen so
wenig Rechnung, daß ihm nicht mit Unrecht der Vorwurf ge-
macht worden ist, es eröffne geradezu den Kampf gegen jede natür-
liche gesellschaftliche Ordnung und führe notwendig zu einer Ver-
gewaltigung der Minderheitsgruppen. Gerade diesem in hohem Maße
berechtigten Vorwurfe gegenüber hat man sich nun vielfach auf
den Irrweg begeben und, alle Vorzüge des allgemeinen Wahlrechtes
übersehend, auf ein doktrinäres Ausklügeln besserer Wahlsysteme
sich verlegt, ja man hat sogar in den Staaten durch die Gesetz-
gebung den Weg des Experimentierens beschritten. Aber all jene
Ueberfeinheiten der Theorie und all diese Versuche der Praxis, mit
der Klinke der Gesetzgebung den politischen Machtstrom von
Massen zu dämmen, sind auf die Dauer zur Erfolglosigkeit ver-
urteilt. Sie mögen in kleinen, einem größeren Gemeinwesen ein-
geordneten und daher weder vollselbständigen noch vollverant-
wortlichen, politischen Gemeinschaften eine Weile hemmend und
ausgleichend wirken, in einem Gemeinwesen wie dem Deutschen
Reich vermögen sie einer starken Machtströmung großer Parteien
gegenüber nichts auszurichten. Will man daher dem allgemeinen
Wahlrechte seine Geltung belassen und dennoch seine Mängel
ausgleichen, so gibt es keinen andren Weg und keinen andren
nachdrücklichen Minoritätenschutz als den, neben das Unterhaus ein