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wäre gelöst und die Geschichte der fast 50 Jahre reichsländischen
Eigenlebens wäre als eine Zeit des Uebergangs erledigt. Die Ein-
verleibungsstaaten hätten nach Ablauf des Verdauungsprozesses
sich ihres Macht- und Pflichtzuwachses zu erfreuen und für ihre
Mühen allenfalls noch eine Forderung an das Reich auf ent-
sprechenden Stimmenzuwachs im Bundesrat und Stellenzuwachs
im Reichstag .zu liquidieren. Das Ganze nähme sich aus wie eine
nachträgliche Verteilung der Beute von 1871.
Die Einverleibungs- und Aufteilungsprojekte haben indes
bisher keine große Anhängerschaft gefunden, am wenigsten in
den Reichslanden selbst. Es haftet ihnen der Makel des Anne-
xionismus an, sie entsprechen nicht dem Grundplan des Reiches,
wonach Staaten und Stämme in dem durch die Zuständigkeits-
grenze des Reichs gegebenen Rahmen erhalten und in ihrer Eigen-
art bewahrt bleiben sollen, sie lassen sich auch nicht nach irgend
einem Maßstab von Gerechtigkeit durchführen. Einer Aufteilung
unter die 25 Staaten stehen die erheblichsten praktischen Be-
denken entgegen, ein Ausschluß aber der Mehrzahl der Staaten
von der Verteilung läßt sich mit durchschlagenden Gründen nicht
rechtfertigen.
Es bleiben darnach nur die Belassung des bisherigen Zu-
standes und die Umwandlung in einen Staat nach Art der 25
Bundesstaaten des Reiches zur Wahl.
Die Belassung des bisherigen Zustandes bleibt natürlich als
ultima ratio, wenn Besseres sich nicht bietet, immer übrig.
Außer dem Gesetz der Beharrung sprechen dafür gewichtige
Stimmen, die um so mehr in die Wagschale fallen, je enger die-
jenigen, welche sie erheben, mit den reichsländischen Verhält-
nissen durch Leben, Interessen und Erfahrungen verwachsen sind ‘?.
2 Vgl. aus neuester Zeit insbesondere W. KarPr, Prof. lie. Straßburg
„Ist E.-L. als autonomer Bundesstaat denkbar?“ Jul. Springer 1918, der
sich zwar als besonderer Kenner der Sinnesart des Volkes der Elsässer
und Lothringer legitimiert, den Staatswillen des Volkes aber doch zu unter-
schätzen scheint.