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vor unter Reichsvormundschaft und was auch geschah, um dieses
Verhältnis zu mildern, insbesondere auch die Sicherungen, die
man dem reichsländischen Stimmrecht im Bundesrat gewährte,
reichen nicht hin, um dieses Verhältnis im Grunde zu ändern und
dem Reichsland das Maß von Selbständigkeit zu geben, in dem
es seine deutschen Nachbarländer sich betätigen sieht. Das Ge-
fühl, ein Nebenland, eine Nebensache des Reichs zu sein, wird
man deshalb im Kreise der eigentlichen Elsaß - Lothringer
nicht los.
Die überwiegenden deutschen Elemente, auf deren Stammes-
art und gutdeutsche Gesinnung man sich in offiziellen deutschen
Kundgebungen gegenüber der französischen Propaganda für Re-
annexion mit Recht zu stützen pflegt, müssen sich fragen, ob ein
hinreichender Grund dafür besteht, daß sie trotz ihrer anerkannten
Vollwertigkeit im Verhältnis zum Reich die Form entbehren, in
die alle sonstigen Deutschen ihr Verhältnis zum Reich staats-
rechtlich geprägt sehen, nämlich die Form der bundesstaatlichen
Autonomie. Der Elsaß-Lothringer hat keinen Heimatsstaat, der
seinem Heimatgefühl entspräche.
Daß dieser offenbare Mangel selbst in diesem Kriege — von
geringen Ausnahmen abgesehen — nicht lähmend auf die Wehr-
freudigkeit der Elsaß-Lothringer gewirkt hat, ist eine wertvolle
Tatsache, die nicht nur gegen den raublustigen Feind, sondern
auch und vor allem zugunsten der Einschätzung der politischen
Vollwertigkeit des elsaß-lothringischen Stammes verwertet zu wer-
den verdient. Der Elsaß-Lothringer kämpft in diesem Kriege für
das Deutsche Reich und Volk, er kämpft aber auch für seinen
Staat, er erkämpft ihn sich. Und wie die Motive zum Entwurf
eines preußischen Landtagswahlgesetzes als einzigen Grund für die
Zubilligung des allgemeinen und gleichen Wahlrechtes die Er-
kenntnis der politischen Fähigkeit des Volkes aus seinem Ver-
halten im Kriege geschöpft haben, so wäre es billig, auch die
Staatsfähigkeit des elsaß-lothringischen Volkes anzuerkennen und