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auch wenn es einmal in der Vergangenheit bestanden haben sollte,
aus diesemGrunde noch lange keine Geltung für
die Gegenwart beanspruchen könnte. Das- ergibt
sich aus der Natur der Sache, es entspricht aber zugleich den allge-
meinen Rechtsanschauungen, welche gerade die Ententestaaten und
ebenso die neutralen Mächte bei anderen Gelegenheiten in diesem
Weltkrieg bekundet haben. Denn gegenüber der absolut willkürlichen
Art und Weise, in welcher England während des Krieges
solche Rechtssätze, die bisher als die Grundpfeiler des ganzen
Seekriegsrechts galten!®, außer Kraft setzte, hat z.B. die Regierung
der Vereinigten Staaten von Amerika sieh auf den Standpunkt
gestellt, daß die großen Veränderungen, die in den Bedingungen
und Mitteln der Seekriegsführung eingetreten sind, eine Abände-
rung alter und bisher völkerrechtlich allgemein anerkannter Re-
geln bewirken können!®. Die Berufung auf jenes angeblich früher
vorhandene Gewohnheitsrecht hat daher keine beweisende Kraft,
wenn sich nicht die innere Berechtigung jenes Gewohnheitsrechts
auch für die Gegenwart dartun läßt.
Es kommt also auf die sachlichen Argumente an, die zu-
gunsten des Widerstandsrechts geltend gemacht werden. Alles,
was in dieser Richtung wesentlich ist, ist von OPPENHEIM und
sodann von WEHBERG in ihren oben zitierten Schriften vorge-
bracht worden.
OPPENHEIMs wichtigstes Argument ist nun, daß die Wee-
nahme feindlicher Handelsschiffe durch Kriegsschiffe lediglich ein
„Akt der Feindseligkeit“ sei, und daß die Anhaltung eines feind-
lichen Handelsschiffs durch ein Kriegsschiff, welches seine Auf-
bringung einleitet, nur die Erfüllung einer völkerrechtlichen
# 7. B. die Sätze der Pariser Seerechtsdeklaration über das Blockade-
recht sowie über den Schutz, welchen die neutrale Flagge dem feindlichen
Eigentum gewährt.
19 Vgl. z. B. die Anweisung des Staatsdepartements in Washington vom
30. März 1915 an den amerikanischen Botschafter in London zur Beantwor-
tung der britischen Noten vom 13. März 1915 und vom 15. März 1915.