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der „freien Liste“ in dem engeren deutschen Sinn zurückgesetzt
wurde.
Die geschichtliche Entwicklung lehrt freilich nur, daß der
deutsche Begriff „gebundene Liste“ gegenüber der schweizerischen
Begriffsbildung auf Mißverständnis beruhte, aber noch nicht, daß
er falsch sei. Das kann erst die dogmatische Untersuchung zeigen.
U. Das Stimmgewicht des einzelnen Wählers (p) ist der
Quotient aus der Summe der Stimmgewichte aller Abstimmenden
(P) geteilt durch die Anzahl der abstimmenden Wähler (v); also
istp= u
Bei der Majoritätswahl im Einerwahlkreis ist es nicht anders
möglich, als daß der Wähler seine ganze Stimmkraft einem ein-
zigen Bewerber zuwendet. Umgekehrt wurde bei Majoritätswahl
in Mehrerwahlkreisen, wie sie in der Schweiz verbreitet waren?,
es für selbstverständlich gehalten, daß jeder Wähler soviel ver-
schiedene Bewerber auf seinem Stimmzettel nannte, als Abgeord-
nete (r) zu wählen waren. Damit verteilte der Wähler seine ge-
samte Stimnikraft p = © gleichmäßig auf r Bewerber, mithin gab
P
er jedem von seinem gesamten Stimmgewicht —- zn
Weil die Verhältniswahl in der Schweiz an die Majoritäts-
mehrerwahl anknüpfte, wurde auch bei ihr diese Stimmsplitterung
beibehalten. Wenn auch nunmehr Vorschlagslisten eingereicht
wurden, so gab doch der Wähler selbst da, wo er keine Aende-
rung an der Liste vornehmen durfte, seine Stimme in der Form
ab, daß er auf seinem Stimmzettel die sämtlichen Kandidaten der
Liste nannte. So blieb der Schein gewahrt, als ob der Wähler
jedem einzelnen Kandidaten seiner Liste eine Stimme gebe und
® Ebenso allenthalben bei Majoritätsmehrerwahl (TECKLENBURG, Ent-
wicklung des Wahlrechts, 1911, S. 202).