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von einem Gewohnheitsrecht zu sprechen, ist m. E. bei der ver-
hältnismäßig kurzen Zeitdauer noch nicht angängig — steht im
strikten Gegensatz zur Reichsverfassung”’, nach der als streng
einzelstaatliches Organ der Bundesrat zur Kontrolle der Reichs-
regierung dient und nach deren Geist die Reichsbehörden selb-
ständig dem Bundesrat gegenüberstehen sollen. Er widerstreitet
ferner aufs schärfste dem Prinzip des Föderalismus, denn sämt-
liche Reichsämter werden auf solche Art borussifiziert und Preu-
ßen erhält eine wesentliche Stärkung seiner hegemonischen Stell-
ung, die durch nichts gerechtfertigt ist. Man stelle sich nur vor,
daß die Staatssekretäre als preußische Bundesratsbevollmächtigte
an die Instruktionen des preußischen Staatsministeriums gebunden
und für ihre Tätigkeit im Bundesrat dem preußischen König und
preußischen Landtag verantwortlich sind, nieht aber dem Bundes-
rat! Ja, mit der Verantwortlichkeit der Staatssekretäre gegenüber
dem Bundesrat steht es noch schlechter, als es nach geltendem
Recht beim Reichskanzler der Fall ist. Die Staatssekretäre sind
nämlich dem Bundesrat überhaupt nicht verantwortlich, und nur
die wenigen Fälle bilden eine Ausnahme, in denen der Reichs-
kanzler auf Grund des Gesetzes betr. die Stellvertretung des
Reichskanzlers vom 17. II. 78 ausdrücklich in einer Sache
einen Staatssekretär mit seiner Stellvertretung und Gegen-
zeichnung des kaiserlichen Aktes gem. Art. 17 RV. bevoll-
mächtigt hat.
Ganz ebenso verhält es sich mit der Stellung des während
des Krieges neugeschaffenen Vizekanzlers zum Bundesrat. Genau
so wie die Staatssekretäre sind auch die beiden bisherigen In-
haber dieses Amtes, Helfferich und v. Payer, zu preußischen
Bundesratsbevollmächtigten ernannt worden, letzterer obwohl er
” So mit Recht LABAnD, Staatsr. Bd. I S. 240.
8 Selbst das wird bestritten; and. Ans. ArnDT, Reichsstaatsrecht S. 686,
der selbst im Falle der Gegenzeichnung die Verantwortlichkeit der Staats-
sekretäre verneint.