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historisch bewährt. Schließlich komme es auf den guten Glauben darüber an,
ob der Sitz der Staatsgewalt beim König oder beim Volk besser aufgehoben sei.
Der gute Monarchist läßt sich nicht von diesem, der Republikaner nicht von
jenem überzeugen. Uebrigens nötigt auch der Konstitutionalismus nicht zur
Beibehaltung eines der augenblicklichen Mehrheit nicht genehmen Ministeriums,
wie umgekehrt die Möglichkeit, es trotzdem gegen die Augenblicksmehrheit
zu halten, ihre Vorzüge haben mag. Die Parlamente der konstitutionellen
Staaten haben, besenders durch das Budgetrecht, auch keinen so geringen
Einfluß auf die Verwaltung.
So treten sich die Meinungen und Weltanschauungen — beiderseits durch
Ausdeutung historischer Entwioklungstatsachen gestützt — einander gegen-
über. Der Leser soll Richter sein. Für seine Person ist der Verfasser der An-
sicht, ‚daß das parlamentarische System auch in Deutschland einmal zur Ein-
führung gelangen wird, mag es sich empfehlen, dies zu tun oder nicht. Der
hauptsächliche Grund für diese Annahme ist ein internationaler. Die Staaten
können sich nach wie vor dem Kriege der Notwendigkeit internationalen Ver-
kehrs nicht verschließen oder nach Laune entziehen. Die Notwendigkeit der
Anpassung werde für Deutschland zur Einführung des parlamentarischen
Systems führen“ (S. 58f.). Im übrigen schildert Verfasser die bekannten Er-
eignisse, die mit der Entlassung des Reichskanzlers Bethmann-Hollweg, mit der
Amtsführung seines Nachfolgers Dr. Michaelis und mit der Forderung der
Parlamentarisierung zusammenhängen und in Deutschland 1917 teils auf dem
Wege des Verfassungsausschusses, teils durch rein politische Aktionen ver-
sucht worden sind. Er zeigt, daß ein gelegentliches ‚‚innigeres und verständnis-
volles Zusammenwirken von Regierung und Volksvertretung‘' noch weit entfernt
von Parlamentarisierung ist und daß diese für das Reich voraussichtlich nur
auf dem Wege zu erreichen ist, daß die Einzelstaaten bei sich vorher jene Re-
gierungsweise einführen. In diesem Zusammenhang wird eine Reihe wichtigster
staatsrechtlicher Grundfragen, wie die Beseitigung des Art. 9 RV., die Be-
deutung der Reichsministerien für die bundesstaatliche Natur des Reiches, die
Spaltung des Reichstages in ein Ober- und Unterhaus, die Bedeutung der
preußischen Wahlrechtsreform berührt. Eine umfassende wissenschaftliche
Darstellung eines parlamentarischen Regierungssystems, die auf geschicht-
lichem Grunde aufgebaut, alle gegenwärtigen und zukünftigen politischen und
staatsrechtlichen Probleme erschöpfend behandelt, wollte die temperamentvolle,
auch in der Form ansprechende eindrucksvolle Abhandlung nicht sein. Zur
Zeit ist sie das beste, was wir über den Gegenstand in deutscher Sprache haben.
Kein späterer Bearbeiter wird an ihr vorübergehen dürfen.
Cöln. Professor Dr. Stier-Somlo.
! Vgl. auch die Besprechung der Bücher von HÜBNER und REDSLOB
unten.
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