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und durch die gleichmäßige Gebundenheit aller beteiligten Staaten an
ihren Bestand *®.
Aber weiter: das bürgerliche Recht spannt das Netz seiner
Ördnungen über alle Lebensbeziehungen zwischen den einzelnen;
da gibt es keine Lücke, für die man nicht sagen könnte, was
Rechtens ist. Das Völkerrecht gewährt einen gewissen Kreis von
Grundrechten und stellt darüber hinaus nur hie und da noch einen
Rechtssatz in das Getriebe hinein °®. Darüber hinaus herrscht für
die Staaten das Recht nicht mehr, sondern die Macht. Doch auch
diese nicht allein. Sondern auf solchem freien Gebiet kommt dann
die Gerechtigkeit zu einer Bedeutung, wie sie das Privatrecht ihr
nicht ermöglicht: sie wirkte rechtersetzend. Sie wirkt
hier ähnlich, wie sie neben andern moralischen Mächten, neben
religiöser Rücksicht vor allem auch, gewirkt hat zur Zeit, da es
noch kein Völkerrecht gab. Nur jetzt kräftiger, bewußter; sie
hat Fortschritte gemacht: zwingend freilich nicht und nicht so
schlechthin nach festen Regeln —, sonst würde sie in Recht über-
gehen und das hat eben hier Schwierigkeiten.
Einen Hauptfall bietet der Krieg. Wir haben ein Kriegs-
recht, von den Staaten anerkannt zur Regelung ihres Verhaltens
im Kriege. Für das allerwiehtigste aber haben wir keine Rechts-
ordnung: für die Heraufbeschwörung dieses ganzen Unheils. Zu
beobachtende Formen bei Beginn, das ist alles. In der: Sache ist
der Krieg dem freien Entschluß der Staaten anheimgestellt —,
noch geradeso wie bei den Stämmen der Sioux und Irokesen. Frei-
lich, schon im Altertum forderte man ein bellum justum. Dem
4° PAULSEN, Ethik II S. 142, bezeichnet das positive Recht geradezu
als „eine geschichtliche Lebensordnung, wodurch die Forderungen der Ge-
rechtigkeit verwirklicht werden“. Daß das so sei, ist aber selbst wieder
nur eine Forderung und eine Vermutung, und die Verwirklichung geschieht
durch die Einhaltung der Form des Rechts, nicht durch den Inhalt der
völkerrechtlichen Bestimmung. — HEILBORN, in HOLZENDORFFs Enzykl. V
S. 484: Das Recht ist „eine prinzipiell gerechte Regel für das Verhalten
‚der Menschen oder Staaten zueinander“.
50 Tjeber seine Lückenhaftigkeit: JELLINEK, Allg. Staatslehre 8. 378.