Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 38 (38)

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ein tatsächliches Verhältnis, einen modus vivendi. Einen einheit- 
lichen Standpunkt, von dem aus das gegenwärtig zwischen der katholi- 
schen Kirche und dem modernen Staate bestehende Verhältnis beurteilt 
werden könnte, gibt es somit nicht. Diese unwiderlegliche Wahrheit 
habe ich durchweg meinem Urteile zugrunde gelegt, indem ich mich je 
nachdem auf den Boden des katholischen Kirchenrechts oder auf den 
des modernen Staatsrechts stelle.“ 
Das Buch zerfällt in 4 Hauptteile. 
Der 1. Hauptteil (S. 5—73) handelt über „die Verfassungsgeschichte 
der kath. Kirche nach katholischem Kirchenrecht“, oder über 
das im 19. Jahrhundert entstandene katholische Kirchenrecht kirchlichen 
Ursprungs. Der Schwerpunkt liegt hier abgesehen von den Konkordaten 
und Zirkumskriptionsbullen in den kirchenrechtlichen Reformen Pius X. 
Was die rechtliche Natur der Konkordate betrifft, so vertritt der Verf. 
den Standpunkt, daß für die kath. Kirche die Privilegientheorie, für den 
Staat die Legaltheorie das Richtige enthält. Die Vertragstheorie lehnt er 
ab: „Ein Recht eigener Art nach Analogie des Völkerrechts entsteht auf 
diese Weise nicht: materiell ist es entweder Kirchen- oder Staatsrecht ; 
denn es gibt keinen über Kirche und Staat stehenden, beide umfassenden 
Verband“ (S. 25). Ich glaube aber auch nach den Ausführungen des Verf. 
noch nicht, daß damit die Eigentümlichkeit der Konkordate restlos erklärt ist. 
Wenn man „die wechselseitige Verpflichtung, welche der eine Kontrahent 
gegenüber dem anderen durch die in vertragsmäßiger Formen erfolgte Ab- 
machung eingegangen ist“, nur als „eine moralische, nicht recht- 
liche“ auffaßt, tut man den Tatsachen Gewalt an. Es wiederholt sich 
hier des weiteren die Streitfrage nach der rechtlichen Natur der völker- 
rechtlichen Verträge, nur in besonderer Ausprägung. Mit der Behauptung, 
daß bei den Konkordaten die vertragsmäßige Form einfach eine „Unwahr- 
heit“ enthalte, ist die Sache nicht abgetan. Auch die Frage, ob dem Papst 
die völkerrechtliche Persönlichkeit eigene (S. 34£.), wird nicht erschöpft. 
Die Gliederung der diplomatischen Vertreter in „Botschafter, Gesandte, 
bevollmächtigte Minister und Geschäftsträger* (8. 35') ist irrig. 
Auffallend ist die Stellung des Verf. zum privilegium fori S. 52. Be- 
kanntlich hatte das Motu proprio v. 9. Oktober 1911 die alte Forderung ver- 
schärft; aber auf die Vorstellung des preußischen Gesandten beim Vatikan 
hatte der päpstliche Staatssekretär erklärt, das Motu proprio berühre 
Deutschland nicht, da dasselbe dort durch entgegenstehendes Gewohnheits- 
recht beseitigt sei. Man mag über diese Begründung denken wie man 
will, aber man freute sich doch allgemein, daß ein neuer Kirchenkonflikt 
im Keime erstickt war. Und nun kommt der Verf. und erklärt S. 52: 
„M. E. ist das privilegium (fori) göttlichen Rechts; es folgt das aus der 
Stellung, welche der katholische Geistliche nach dem Dogma der Kirche
	        
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