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wurde aber mit gut rönischer Frömmigkeit dadurch genügt, daß
der fetialis den Speer in das feindliche Grundstück schleuderte.
Später, bei Entstehung des neuen Völkerrechts, meinte man, der
Krieg könne rechtmäßig nur geführt werden ex justa causa. Nament-
lich der Unterschied zwischen Verteidigungskrieg und Angriffskrieg,
der die Grenzlinie liefern sollte, hat die besten Köpfe beschäftigt °!.
Alles umsonst! Es gibt keine feste Rechtsregel, die hier maß-
gebend wäre. Alles bleibt dem Moralischen überlassen, der Ge-
rechtigkeit und dem Gerechtigkeitsgefühl. Das gleiche kommt
dann noch einmal am Schluß. Was hat der Sieger zu verlangen ?
Es gibt keine allgemeine Regel. Der Vertragsschluß, der ja hier
nicht frei ist, gibt keine Gewähr, wie sonst, daß Gerechtigkeit
gewaltet habe. Wohl aber, wenn man die Friedensbedingungen
hinterdrein betrachtet, läßt sich urteilen, nicht ob sie rechtmäßig,
sondern ob sie gerecht waren oder nicht. Der Spanisch- Amerika-
nische Krieg von 1898 war gewiß ein Muster von Ungerechtig-
keit in seinem Beginn wie in seinen Friedensbedingungen. Der
Frankfurter Friede, sofern er Blutsgenossen und geraubte Gebiete
zurückgab, zum Teil recht schmählich geraubte, war gerecht. —
Endlich betätigt sich die Gerechtigkeit hier noch in einer
dritten, besonders eigentümlichen. Gestalt: sie kann geradezu in
Widerspruch treten zu dem, was das Völkerrecht geordnet
hat. Dann suchen sich ihre Forderungen demgegenüber zur Gel-
tung zu bringen in derselben Weise, wie das bessere Recht gegen-
über dem schlechteren tun würde: der Staat, den es angeht, setzt
sich mit seiner Selbständigkeit dafür ein und mit seinen Macht-
mitteln, als wäre er rechtlich frei, und er tut das ungescheut und
mit gutem Gewissen. Der andere Staat wird sich seinerseits nicht
damit begnügen können, daß er auf das Recht pocht. Sobald die
Frage der Gerechtigkeit einmal erhoben ist, wird er wohl oder
übel gleichfalls den Boden der Gerechtigkeit betreten müssen und
54 Sehr ausführlich schon ALB. GENTILIS, de jure belli L. I.