Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 38 (38)

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dann, wenn man die Staaten als Organismen auffaßt; denn nicht alles, was 
existiert, muß notwendig einmal aufhören, zu existieren, wohl aber muß alles 
was lebt, sterben. Wenn also KJELLEN sagt (S. 204), daß uns beim bloßen 
Gedanken, unser Vaterland könne einmal nicht mehr sein, ein innerliches 
Grauen packt, so ist die von ihm vertretene Auffassung des Staates als Organis- 
mus am wenigsten geeignet, diesen Gedanken zu bannen. Wie daher dieser 
Lehre der Erkenntniswert abzusprechen ist, so 'muß man auch ihren Gefühls- 
wert bezweifeln. Die ungeheure Popularität, die sie trotzdem genießt und wohl 
niemals völlig einbüßen wird, beruht nur darauf, daß sie dem animistischen 
und anthropomorphistischen Zug entgegenkommt, der dem primitiven, unwis- 
senschaftlichen Denken nun einmal eigentümlich ist. 
Dr. Ernst Radnitzky. 
1. Rechtsbegriff und Rechtsidee. Bemerkungen zur Rechtsphilo- 
sophie RUDOLF STAMMLERS von Dr. Julius Binder, o. ö. Professor 
der Rechte an der Universität Würzburg. Leipzig 1915. A. Deichertsche 
Verlagsbuchhandlung Werner Schell. 
2. Staatsidee und Strafrecht. Eine historische Untersuchung. I. 
Teil. Das griechische Recht und die griechische Lehre bis Aristoteles 
von Dr. Ottokar Tesar, Privatdoz. an der Deutschen Universität 
in Prag. Berlin 1914. J. Guttentag G. m. b. H. 
An den besonders in der „Lehre vom richtigen Recht‘ ausgesprochenen 
Grundgedanken STAMMLERs, daß es’eine Richtlinie auch im Recht für den 
Inhalt des Wollens und seiner Betätigung gibt, „die aber in der bedingten 
Erfahrung des Menschendaseins ihre verwirklichende Ausführung niemals finden 
kann“ (Lehre von dem richtigen Rechte $. 287), an diesen ursprünglich PLA- 
Toschen Gedanken, der im Recht die Rechtsidee vom gesetzten Rechte scheidet, 
knüpfen schon nach dem Titel die beiden, hier zu besprechenden Werke an. 
1. Das Buch Bınpers ist ganz dem Gegensatze des Rechtsbegriffs und 
der Rechtsidee gewidmet. Es ist hervorgegangen aus einer Besprechung von 
STAMMLERS ‚Theorie der Rechtswissenschaft“, die BINDER für die „Kritische 
Vierteljahrsschrift‘‘ übernommen hatte, die sich aber in dem engen Rahmen 
nicht verwirklichen ließ. 
BINDER erkennt die ‚‚Theorie der Rechtswissenschaft‘‘ als erste Wissen- 
schaftslehre des Rechts an (S. 2), er würdigt insbesondere das große Verdienst 
STAMMLERS, zum „reinen Begriffe des Rechts‘‘ zurückgekehrt zu sein, aber 
gerade von diesem reinen Begriffe aus entstehen tiefgehende Meinungsverschie- 
denheiten zwischen den beiden Rechtsgelehrten. 
BINDEr führt den Begriff des Rechts als ‚reinen, jedoch auf die Praxis ge- 
stellten Begriff‘ auf Kant zurück (S. 5), der den Juristen wissen läßt, was 
Rechtens sei, aber nicht wissen läßt, ob das, was die Gesetze wollen, auch recht 
sei. Dieser reine Rechtsbegriff Kants sei nichts anderes als eine Norm, von 
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