Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 38 (38)

_ 29 — 
für das Staatsleben ist, so wird diese noch gesteigert durch 
eine Eigenschaft, die ihre Brauchbarkeit für dessen Zwecke er- 
höht. Ihre Forderungen sind ja keineswegs so ganz formlose Ge- 
fühlssache. Die innere Verwandtschaft mit dem Recht gibt ihnen 
eine bestimmtere Gestalt, als sonstige Moralforderungen haben. 
Sie läßt sich lehren und zu einem System verarbeiten, ohne dabei 
an Wert zu verlieren. Discite justitiam moniti et non temnere 
Divos #, Sie wird dadurch erst verwertbar zur planmäßigen Er- 
ziehung der bei der Regierung Tätigen sowohl wie auch der Massen 
selbst, als ein Mittel, auf das man mit einer gewissen Zuversicht 
rechnen mag. 
In diesem Sinne kann sie dem Staate dienen noch nach an- 
deren Richtungen hin, als das Völkerrecht sie bezeichnet. Es 
stehen sich ja auch innerhalb seines Volkes selbst wieder große 
und machtvolle Menschengesamtheiten gegenüber, deren wütende 
Feindseligkeiten ihm Erschütterungen bereiten. Ausrotten lassen 
sie sich nicht; nur Gerechtigkeit über ihnen und zwischen ihnen 
vermag sie im Geleise zu halten. 
Da haben wir vor allem den Kampf der Nationalitäten, 
der ja auch über die Staatsgrenzen weg in das Gebiet des Völ- 
kerrechtes sich hineinzieht. Dazu kommt der altüberlieferte Hader 
der Konfessionen, dessen Feuer noch unter der Asche glimmt, 
der soziale Kampf der Klassen, der politische Kampf der Par- 
teien. Alles das wartet immer wieder nicht auf einen Macht- 
spruch des Gesetzes schlechthin, sondern auf ein erlösendes Wort 
der Gerechtigkeit. Ohne sie können an solchen Dingen Staaten 
und Völker verderben®®. 
5 RÜMELIN, Reden und Aufsätze S. 199 ff. unterscheidet zweierlei Ge- 
rechtigkeit, eine „ideale, naive Gerechtigkeit, von unmittelbaren Gefühls- 
eindrücken geleitet* und eine andere „realistische, rationelle, empirisch 
geschulte und ausgebildete Gerechtigkeit“. Die letztere ist nach ihm die 
Gerechtigkeit, „die erst den wahren Wert für Staat und Gesellschaft hat, 
die Spezialtugend aller Obrigkeit“. 
55 PAULSEN, Ethik II S. 140: „Das Parteiwesen der Todfeind der Ge-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.