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vom Rechtsbegriffe KAnTs, aber er sei mit solch abstrakter Allgemeinheit
bezeichnet, daß die Anwendung des Begriffes auf jeden positiven Rechtsinhalt
möglich sei. Vom Standpunkt der Anwendung des Rechtes aus dürfte zu sagen
sein, daß die Begriffsbestimmung einmal so allgemein ist und dann die Begriffe
der „apriorischen Norm des Rechts“ und der ‚„Rechtsidee“, die beide den Begriff
des Rechts wieder enthalten, so wenig auflöst, daß die Brauchbarkeit in Frage
gestellt ist. Ueber die Notwendigkeit eines zur Erfahrung hinzutretenden
aprioristischen Elements dürfte das letzte Wort auch noch nicht gesprochen
sein. Wenn STAMMLER schon in der 1. Auflage von ‚Wirtschaft und Recht“
(S. 495) von der Erfahrung aus die Rechtsregel als solche bestimmte, die erst
selbst beseitigt werden müsse, ehe ihr zuwidergehandelt werden dürfe und
wenn er das Recht als ‚die ihrem Sinne nach unverletzbar geltende Zwangs-
regelung menschlichen Zusammenlebens‘ bezeichnete, so ist er damit zu Lö-
sungen gelangt, die zur Frage der Geltung vollkommen brauchbar sind. Je mehr
es ihm später darauf ankam, den Jnhalt des Rechts zu erfassen, desto dunkler
wurden freilich viele seiner Aussprüche und allein schon von diesem Stand-
punkt aus, wenn auch STAMMLER selbst inzwischen aufklärend gewirkt hat,
vgl. z. B. neuerlich die Besprechung in Conr. Jahrb. Bd. 108 (1917), 237 £.,
ist die hervorragende Arbeit BINDERs dankbarst zu begrüßen.
Sie gelangt aber auch in einer großen Reihe von Einzelpunkten zu bedeu-
tungsvollen Ergebnissen.
Vom Standpunkte der Rechtsidee aus ist sein Ausspruch berechtigt:
Das gesetzte Recht ist gerade, weil es nur geltendes Reoht ist, notwendiger-
weise auch unrichtiges Recht; denn als geltendes Recht wird es niemals auf die
ideelle Geltung Anspruch erheben können, die dem richtigen Rechte ausschließ-
lich zukommt (S. 70 und S. 209); deshalb muß freilich das geltende Recht nicht
unrichtiges Recht sein.
Zum Begriffe des Rechtssystems gelangt BINDER ($. 179), entgegen STAMM-
LER, zu dem richtigen Satze: wenn ein System auf Vollständigkeit Anspruch
machen kann, so ist dies darin begründet, daß es einen gegebenen Stoff voll-
ständig verarbeitet; ob dies der Fall ist, kann durch keine begriffliche Erwä-
gung festgestellt werden, sondern nur durch eine empirische Untersuchung. !
Das Hauptverdienst STAMMLERsS um die Rechtsphilosophie findet Bın-
DER in der Lehre vom ‚‚riehtigen Recht‘, die auf der Unterscheidung von Sein
und Sollen beruhe, da die Rechtsidee der Welt des Sollens angehöre (S. 209).
In der Frage der Lückenausfüllung im Recht läßt STAMMLER
denjenigen Rechtssatz auswählen, der im Sinne der Rechtsidee liege;
BINDER (S. 249) hält das für unmöglich, da die Rechtsidee rein formal und not-
wendig nichtssagend sei (genügt hier nicht der „allgemein gültige Beurteilungs-
maßstab‘“ (vgl. S. 8))?, weshalb empirische Zweckvorstellungen zugrunde ge-
legt werden müßten.
Zum Schlusse erkennt BINDER noch einmal an: „Groß ist dieses Werk,