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trotz allem, was wir dagegen sagen mußten, groß das Unternehmen, eine Theorie
zu schaffen für alles, was wissenschaftliche Rechtsbetrachtung genannt werden
kann, und groß der Gedanke, diese Theorie auf einen, dieses ganze weite Gebiet
einheitlich beherrschenden Gesichtspunkt zu gründen‘‘. Weil aber STAMMLER
die Form des Rechts, die dazu dienen soll, den ganzen Stoff einheitlich zu er-
fassen, im Begriff des rechtlichen ‚„‚Wollens“ gefunden zu haben glaubt, das
selbst wieder ein empirisches Moment enthalte, erachtet BINDER STAMMLERS
großartiges Unternehmen als gescheitert (S. 316).
2. Das Werk TesAars, dessen erster Band hier anzuzeigen ist, ist nicht von
so grundlegender Bedeutung, geht aber auch auf STAMMLERsS Gedankengänge
zurück. Es soll ergründet werden, wie die im Recht, insbesondere im Strafrecht,
zum Ausdruck kommende ‚‚Regelung menschlichen Zusammenlebens‘ mit dem
Gedanken der Freiheit des Menschen, der als geschichtliche Tatsache vorgefun-
den wurde, auszugleichen sei. Dazu sollte die Staatsidee untersucht und es sollte
geprüft werden, welche Rolle innerhalb der Staatsfunktionen das Strafen
einnehme (8. VI) und welohe Wirkungen es auf den menschlichen Geist ausübe.
Aus der Untersuchung der Vergangenheit werde zwar nicht ein ‚‚Soll‘ für die
Gegenwart abgeleitet, die Materie sei aber, als in die Form von Gedankensy-
stemen eingearbeitet, über die geschichtliche Bedeutung hinaus wertvoll (IX).
Zu diesem Zwecke werden im ersten Buche Staat und Strafrecht in Grie-
chenland unter basonderer Berücksichtigung des attischen Rechts untersucht
(S. 1—83).
Die Uebelzufügung seitens des Staats erscheint als Betätigung eines un-
mittelbaren staatlichen Wollens und zwar durch eine Mehrheit von Organen,
deren keines von dem andern sein Wollendürfen ableitet (S. 54), bis die Thes-
motheten das Reaktionszentrum wurden, nach dem sich das Reagieren der
anderen Staatsorgane zu richten hatte; letzteres wurde immer mehr eine vor-
läufige Willensäußerung (8. 61). Soweit der Staat unmittelbar beteiligt war,
bestand die Strafbefugnis des Areopags, des Rats und der Volksversammlung
(S. 66—83), von denen letztere und die Gerichte mit dem Fortschreiten der
Volksherrschaft die Hauptbedeutung erlangten. So steht der Staat einerseits
dem von einzelnen geltend gemachten Wollen einschränkend gegenüber, anderer-
seits betätigt er sich auf Grund seiner Ueberordnung dem einzelnen gegenüber
gemäß seiner staatlichen Zwecke (S. 83).
Im zweiten, umfangreicheren, Buche behandelt Tesar dann die grie-
chische Lehre von Staat und Strafe, insbesondere bei den Dichtern und
Philosophen (S. 84—250). Seine Ausführungen gipfeln in der Sohilderung der
großen Systeme des PLAaTo und des ARISTOTELES. Bezüglich des ersteren
sei besonders in diesem Zusammenhange auf die Schilderung der Ideenlehre
S. 158—163 verwiesen, während die Aufgabe des Idealstaates (S. 166—168)
darin bestand, den Menschen zu dem Ziele zu bringen, das er durch seine Ver-
nunft sich selber setzen muß, ohne den Staat aber nicht erreichen kann. Auch