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der Verbindung mit einem bestimmten Boden, des Zusammenwohnens in
einem Land gehört, während räumliche Trennung, möge sie noch so groß sein,
die Zusammengehörigkeit zu einer Nation nicht aufhebt, solange nur der
wechselseitige Austausch der Kulturgüter nicht unterbunden wird“ (78).
Während das Organisationselement bei Nation und Volk durch die Le-
bensgemeinschaft gebildet wird, beruht der Staat auf einem neuen bisher
noch nicht in die Erscheinung getretenen, das ist die ‚„‚Autorität‘ (50). Der
Staat ist „jene auf Interessengemeinschaft gegründete und in der Unterord-
nung unter eine die Einzelkräfte im Dienste des Gemeinwohles zusammen-
fassende Autorität bestehende Organisation . .. ., die das allseitige Wohl-
befinden ihrer Angehörigen zum Ziel hat und zugleich die Mittel besitzt, um
dieses Ziel ohne Unterwerfung unter eine andere Organisation der gleichen
Ordnung zu erreichen“ (78 £.). (An anderer Stelle (9) sind neben dem charak-
teristischen Merkmal der obersten Gewalt auch noch die beiden anderen Ele-
mente des Staatsbegriffs: Volk und Gebiet der Definition eingefügt; Souveräni-
tät dagegen ist nicht, wie S. 2 behauptet wird, eine notwendige Eigenschaft
der Staatsgewalt).
S. nennt zwar Volk, Nation und Staat nebengeordnete Größen (57);
dadurch aber, daß er den Volksbegriff an ein trotz aller Innigkeit des Heimat-
gefühls doch mehr materielles Merkmal, die Landnahme, knüpft, während
er der Nation das Bewußtsein geistiger Einheit (57) als Charakteristikum
vorbehält, entsteht doch wieder eine gewisse Rangordnung (die auch bei
SEIPEL auf 8. 55 durchblickt) zwischen den beiden ÖOrganisationsformen,
die somit in Uebereinstimmung mit der herrschenden Anschauung als auf-
einanderfolgende qualitativ (allerdings, wie man hinzufügen muß, wohl mehr
im äußerlichen Sinne von Splendor und Prestige!) verschieden zu be-
wertende Stadien der Entwicklung anzusehen wären.
Die Koordinieung von Nation und Staat geschieht natürlich aus
Motiven pro domo. Der gebürtige Oesterreicher wird sich begreiflicherweise
mit allen Gründen gegen dıe alleinige Möglichkeit des Gedankens einer „Staats-
nation‘‘ (namentlich in der Auffassung der Franzosen und Engländer), gegen
die Gleichung von Nation und Staat (das sog. Nationalitätsprinzip, S. 73)
wenden und die Existenzberechtigung eines mehrere Nationen umschließen-
den Staatsverbandes zu erweisen suchen. Daß nicht immer Nation als Gemein-
schaft des kulturellen und Staat als solche des politischen Schicksals aus-
einanderzufallen brauchen, wird sich auch der Verf. im Stillen nicht verhehlt
haben, als er diese Scheidung vornahm (9). Zu diesem in den Brennpunkten
geschauten Inhalt der ersten drei mehr begriffstheoretisch geriehteten Kapitel
fügt sich dann im vierten ein Abriß der österreichischen Geschichte unter
dem Gesichtspunkt des ‚‚nationalen Ausgleichs‘, der eben jene zuvor aufge-
stellte These, daß ‚‚ein übernationaler Staatsgedanke mehrere einander fremde
Nationen zu einem beständigen Ganzen vereinigen kann‘ (96) bewahrheiten