Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 38 (38)

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Die diplomatischen Aktionen von der Note an Serbien bis zur Kriegs- 
erklärung des Deutschen Reiches an Rußland werden vor dem Leser aufgerollt 
und einer sorgfältigen Analyse unterzogen. Dabei erhebt sich der Verfasser 
zu einer hohen Objektivität der Schilderung und des Urteils, wie sie in der 
heutigen Zeit, wo alle Leidenschaften entfesselt sind, nur äußerst selten ist, 
ja fast unmöglich dünkt. Als man an dem Haager Schiedsgericht baute, hat 
man sich oft zweifelnd die Frage vorgelegt, ob es Geister gibt, fähig, von 
ihrem Patriotismus derart zu abstrahieren, daß sie eine internationale Ge- 
sinnung haben und ein neutrales Urteil sprechen können. Darauf möchte ich 
erwidern: Aus diesem Buche spricht ein Mann, der tiefe Liebe zu seinem Vater- 
lande hegt, wie in der Schrift allenthalben kund wird, der sich aber dennoch 
zu einem Idealismus des Rechtes durchgerungen hat, der alle anderen Stimmen 
übertönt. 
Wie denkt nun ScHÜCKING über die diplomatischen Aktionen vom Juli 
1914, durch die man den Weltkrieg zu beschwören suchte. Man weiß, das 
erste und wichtigste Projekt war dies, eine europäische Konferenz einzuberufen, 
welche die Vermittlung in dem Konflikt zwischen Oesterreich-Ungarn und 
Serbien übernehmen sollte. Alle späteren Versuche krystallisieren sich um 
diesen. Und so wollen wir, um ein Bild von SCHÜCKINGs Denken zu gewinnen, 
sein Urteil über diese Aktion verfolgen. 
Wenn es in Europa, sagt der Autor, eine Instanz gegeben hätte, fähig, 
ein unparteiisches Gutachten zu erteilen, wie sich die österreichisch-ungarischen 
Interessen gegenüber Serbien mit dem europäischen Interesse der Aufrecht- 
erhaltung des Weltfriedens ausgleichen ließen, so hätte Oesterreich-Ungarn 
jeder Grund und jeder Vorwand gefehlt, um eine Vermittlung abzulehnen, 
und ebenso seinem deutschen Bundesgenossen. Wäre aber die vorgeschlagene 
Konferenz eine solche unparteiische Instanz gewesen? Ueberblickt man die 
diplomatischen Verhandlungen in ihrer Gesamtheit, antwortet SCHÜCKING, 
so muß man sagen, daß anscheinend bei England und Frankreich trotz ihrer 
Zugehörigkeit zur Entente und ihres entschlossenen Willens, mit Rußland 
bis zum äußersten zu gehen, die ernstliche Absicht vorhanden war, eine sach- 
liche Lösung der österreichisch-serbischen Frage zu finden, die den berechtig- 
ten Ansprüchen Oesterreich-Ungarns genügte und andererseits durch Aufreoht- 
erhaltung der Souveränität Serbiens auch der Forderung Rußlands so weit 
entgegenkam, daß der Weltfriede erhalten bleiben konnte. Dasselbe muß von 
Italien gelten, das sogar den Vorschlag machte, Serbien sollte noch nachträg- 
lich auf Geheiß der Großmächte das ganze Ultimatum annehmen, nachdem 
Oesterreich-Ungarn gegenüber den Mächten die abgelehnten Punkte erläutert 
hätte. In Wirklichkeit, schließt ScHÜückıng, hätte also Oesterreich-Ungarn 
der angebotenen Viermächtekonferenz mehr Vertrauen schenken können, als 
es tat. Und doch bleibt es nicht unverständlich, daß es dieses Vertrauen im 
entscheidenden Moment nicht aufgebracht hat. Denn zwei von den vier Mäch-
	        
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