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„das ganze Sammelsurium von Ansichten und Meinungen‘ vor (S. 405) und
bricht an derselben Stelle in die bezeichnende Klage aus: ‚‚Wenn nur endlich
auoh die Juristen sich das Denken ab- und das Sehen angewöhnen möchten!“
Man beachte hiebei das charakteristische ‚‚auch‘‘. Es gibt also bereits Seher,
die sich das Denken abgewöhnt haben? Wer sind sie? Zweifellos der Autor
selbst und vermutlich die Physiker, welche die Nullen addieren!
Auch seiner Form nach ist das Buch STARKs unsympathisch., Da dem
Verfasser weder Humor noch Witz zu Gebote stehen, er aber doch die Pose
der Ueberlegenheit über die Geistesarbeit von Jahrhunderten nicht aufgeben
will, bedient er sich gewisser Surrogate, die den Witz ersetzen sollen, so z. B.
der Deminutiva. Von der Höhe seiner empirischen Psychophysiologie aus
nennt er fremde Meinungen ‚„‚Theoriechen‘“, ‚„Systemehen““, „Hirngespinstchen“.
Auch Anführungszeichen und gedankenvolle Gedankenpunkte spielen — ins-
besondere in dem philosophischen Pro&mium — eine große Rolle. Ja selbst
vor direkt banalen Redensarten und Worten schreckt der Autor nicht zurück.
So benützt er durchweg das dem Wiener Jargon entlehnte ‚‚selbstredend“
statt „‚selbstverständlich‘‘. Demselben Jargon ist übrigens das Wort „kommun“
(statt ‚„gewöhnlich“) entnommen (S. 116). Zwischendurch finden sich Aus-
drücke wie „Krautsalatwirtschaft im Strafrecht‘ (S. 77), ‚Begriffsparalyse,
welche das Hirn der Wissenschaft zerfrißt‘“ (S. 83), „Herumplantschen in einer
Flut metaphysischer Begriffe‘ (S. 111) und ähnliches.
Zum Schlusse seien dem Referenten noch einige Bemerkungen über die
symptomatische Bedeutung dieser neuen literarischen Erscheinung
gestattet. Um diese Bedeutung klar zu erfassen, muß man sich vergegen-
wärtigen, daß das Erscheinen eines derartigen Buches keinen Zufall bedeutet!
Dieses Buch zeigt die Unmöglichkeit naturwissenschaftlicher
Tendenzen bei Behandlung juristischer Probleme resp. ihre Mängel
gleichsam in einem Hohlspiegel d. h. ins Ungeheuerliche gesteigert! Es sind
jene Tendenzen, denen das „Bechtsleben‘“ resp. dessen wissenschaft-
liche Erfassung mittels juristischer Methoden als ein Fetisch gilt und die auf
die „formale“ (sc. „‚lebensfremde‘‘) Jurisprudenz mit Despekt herabblicken;
es sind die modernen ‚‚Tatsachen-Juristen‘‘ (wie ich sie nennen möchte, da
ihnen das, was ist, also etwas ‚‚Wirkliches‘“, von viel größerer wissenschaft-
licher Dignität dünkt als das bloße „‚Sollen“, also etwas „nicht Wirkliches“),
welche dem Werk zu Gevatter standen. Hier haben sie ein Beispiel ad oculos,
wohin der kritiklose Methodensynkretismus führt, wenn er konsequent durch-
geführt wird und auch vor offenbarem Unsinn nicht zurückschreckt! Hier
haben sie die Folgen ihrer Tatsachen-Anbetung! Die Normentheoretiker
dagegen werden von ihrem methodischen Standpunkte aus eine gewisse Ge-
nugtuung über die mittels dieses Buches glänzend gelungene ad absurdum-
Ueberführung des gegnerischen ‚„naturwissenschaftlich-soziologisch-psycho-
physiologischen‘ Standpunktes in der Jurisprudenz nicht verhehlen können.