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der eingezogenen Bauern und Arbeiter die Aecker zu bestellen und die Fabri-
ken in Betrieb zu halten.
Das ist die Folge des französischen Verwaltungssystems, dem es gelungen
ist, die große französische Kolonie mit ihren nahezu 5 Millionen Einwohnern,
ron denen knapp 200 000 französischer Abstammung sein mögen, gefügig und
in Ordnung zu halten.
Eine Verwaltung, die einen derartigen Erfolg aufzuweisen hat, verdient
unsere sorgsamste Beachtung. Merkwürdigerweise ist das umfangreichste
Werk über diese Verwaltung deutsch. Die französische Literatur über Algerien
besitzt in der Tat kein Werk, das mit annähernd gleicher Ausführlichkeit,
wie ‚es GMELIN in seiner Verfassungsentwickelung von Algerien versucht hat,
die gegenwärtige Verfassung und Verwaltung der großen Kolonie vom Zeit-
punkte ihrer Eroberung durch Frankreich bis auf unsere Tage verfolgt. Der
Praktiker, dem daran liegt, die Probleme der Staatskunst, die sich in jeder
Verfassung und Verwaltungsorganisation verkörpern, zu ergründen, wird
trotzdem GMELINs Buch enttäuscht aus der Hand legen. Es ist die fleißige
Arbeit eines Sammlers, der aus der Literatur, aus parlamentarischen Berichten
und Protokollen und aus anderen Archivalien mit gıoßer Mühe in breitester
Ausführlichkeit die rein technische Aufeinanderfolge der veıschiedenen Ge-
setze und Verordnungen registriert hat, die emander im Lauf von 80 Jahren
in Algerien abgelöst haben. So sehr dominiert das Interesse für die gesetz-
geberische Technik, daß sogar Entwürfe von Gesetzen oder Verordnungen
und Kritiken dieser Entwürfe einen breiten Raum in dem Werke einnehmen.
Dazu kommen noch vielfache Erwägungen dogmatischer Art über die Frage
ob dieses oder jenes längst außer Kraft gekommene Gesetz seinerzeit verfassungs-
mäßig gewesen sei oder woraus sich seine Geltungskraft theoretisch habe be-
gründen lassen; Fragen die für das Problem, des Erfolges der wechselnden
Verfassungssysteme, die Frankreich in Algerien ausprobiert hat, gar keine
Bedeutung haben. GMELIN ist nicht genügend Historiker, um gerade derarti-
gen Fragen den sekundären Platz zu geben, auf welchem sie bestenfalls als
Illustrationsmaterial anmeıkungsweise noch Wert für die Erkenntnis der
historischen Entwickelung haben könnten; er stellt sie ebenso unmittelbar
in den Vordergrund seiner Erörterungen, wie die geschichtliche Feststellung
über das Aufkommen und Wiederveischwinden der praktischen Verfassungs-
ordnungen, mit denen Algerien beglückt worden ist. Er ist auch nicht Histori-
ker genug, um zu fühlen, daß eine chronologisch fortlaufende äußere Ent-
wickelungsgeschichte sioh mit einer dogmatischen Darstellung überhaupt
kaum zusammenschweißen läßt, und daß die geschichtliche Entwickelung
jedenfalls eine Zurückführung von wechselnden Ordnungszuständen auf wech-
selnde Bedürfnisse, auf politische und wirtschaftliche Zustände und Interessen
verlangt. Eine dogmatische Uebersicht über die verschiedenen Rechtsord-
nungen, die in der Kolonie gegolten haben, wäre schleohterdings nur so zu