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neuere Wünsche der algerischen Franzosen nach einer noch ausgesprocheneren
Selbstverwaltung erwähnt. — Das Budgetwesen wird von GMELIN für ver-
schiedene Entwickelungstufen sehr eingehend behandelt, aber „die finan-
zielle Entwickelung bleibt ganz außer Betracht‘ (S. VIII), so daß auch dabei
der Eindruck unwissenschaftlicher Oberflächlichkeit, nämlich eines unkriti-
schen Arbeitens nur aus zweiter Hand, hervorgerufen wird. Mit derartigen
Mitteln kann die Frage der Zweckmäßigkeit unmöglich gelöst werden. Der
juristischen Dogmatik aber wird ebensowenig gedient; denn auch formale
Gesetzgebungstechnik haben wir doch längst gelernt, nur an der Verfassungs-
geschichte solcher Länder zu studieren, deren politische und wirtschaftliche
Bedürfnisse wir zu übersehen vermögen. Zu diesen Ländern gehört Algerien
nicht. Es mögen kaum ein Dutzend Deutsche leben, die den großen Atlas
und die Sahara südlich von Tugurt auch nur als Touristen durchstreift und
nicht sehr viel mehr, die sich indirekt über die Zustände in diesen wichtigen
Gebieten einigermaßen orientiert haben. Was kann da der Ueberblick über
die Staatsfinanzen und Grundgesetze ohne eine kultur- und wirtschaftsge-
schichtliche Einführung nützen ?
Wenigstens für das Ergebnis der Verfassungsentwicklung, den heute
geltenden Verfassungszustand, sollte man ein übersichtliches systematisches
Bild erwarten. Aber selbst hier sind dem Autor solche Gesetze und Verord-
nungen die interessantesten und wesentlichsten gewesen, bei denen er am
meisten Anlaß zu abstrakten dogmatischen Erwägungen fand, und bei denen
die Begleitumstände des technischen Zustandekommens am meisten Grund
zu ausführlichen Berichten über die äußere Eintstehungsgeschichte, über
Parlamentsdebatten und technische Bedenken gaben. Die materiellen Pro-
bleme der Verfassungsentwickelung verschwinden auch im Endresultat neben
den formellen.
Deshalb kann sich selbst der über algerische Verfassungszustände orien-
tierte Leser aus der Darstellung GMELINns nur schwer die fundamentalen
Grundsätze des heutigen französischen Verfassungssystems für Algerien zu-
sammensuchen.
Die Verfassung unterscheidet einerseits zwischen verschiedenen Gebiets-
zonen, die eine ausgedehnte Selbstverwaltung genießen oder aber überwiegend
von der militärischen Gewalt abhängig sind. Andererseits kommen verschie-
dene Bevölkerungsklassen in Frage, denen in verschiedenem Grade Teilnahme
an der Landesverwaltung und dem Verfassungsleben gewährt ist. Dazu kommt,
daß je nach den Materien der Verfassungsgesetzgebung die Abhängigkeit
von Pariser Regierungsstellen und vom Pariser Parlament geringer oder größer,
eine direkte oder nur indirekte ist. Und endlich schieben sich mancherlei
maßgebend gewordene Gewohnheiten zwischen die Paragraphen der geltenden
Verfassungsgesetze; also eine ungemein komplizierte, wenig übersichtliche
Form der Verfassung. Eine praktische Folge hiervon sind fortwährende Unzu-