Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 38 (38)

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Lebensaufgabe Chamberlains gewesen. Stellt man dieses Streben nach 
innerer Kohäsion in den Mittelpunkt der Betrachtung, wie es ja eigentlich 
der Begriff ‚„‚Reichsbildung‘“ erfordert, so kann man sagen, daß der Imperialis- 
mus bisher in seinen sämtlichen historischen Erscheinungsformen Schiffbruch 
erlitten hat. ‚‚Der mittelalterliche Imperialismus scheiterte am Widerstande 
gegen die Idee des modernen Staates (gemeint ist doch zunächst bloß die 
Herausbildung eines besonderen geschlossenen französischen Staatswesens); 
der merkantilistische an der Nichtachtung des aufstrebenden Nationalbe- 
wußtseins und Selbständigkeitsgefühls in den Kolonien‘; der Imperialismus 
der Freihandelszeit „vertagte das Problem einer Organisation des Reichs- 
besitzes‘‘, und der moderne Imperialismus ‚führte eine Weltkatastrophe herbei, 
weiler sich mit dem Nebeneinander gleichberechtigter Weltmächte nicht abzu- 
finden verstand“. Vielmehr nicht abfinden konnte, wieS. auch an anderer 
Stelle ausführt; denn das ward die verhängnisvolle Notwendigkeit für das 
britische Imperium: Wollte man die in beispiellosem Fortschritt erreichte 
Machtstellung wahren, so mußte jede den britischen Interessen zuwiderlau- 
fende Veränderung des status quo hintangehalten werden. Der riesige Körper 
des „empire‘‘ hatte mehr als eine Achillesferse, und seine übergroße Reiz- 
barkeit und Anfälligkeit machte eine dauernde Prophylaxis erforderlich. Darin 
lag aber der unerträgliche Anspruch auf eine Vormund- und Richterstellung 
über die Welt. Das alte Problem der abendländischen Staatengesellschaft: 
Universalreich oder koordiniertes Staatensystem, im historischen Verlauf 
stets zugunsten der zweiten Alternative entschieden, kehrt auf planetarischer 
Bühne wieder und ein Weltkrieg soll diesmal die Antwort darauf geben. Auf den 
besonderen Charakter des englischen Imperialismus im Vergleich zu dem anderer 
Mächte, namentlich Deutschlands, möchte man im Schlußkapitel des SALOMON- 
schen Buches (das die Ausmündung in den Weltkrieg behandelt) gern noch ge- 
nauer hingewiesen sehen. Die Ausführungen OTTO HınTzes über den Gegen- 
stand (zuletzt in „Deutschland und der Weltkrieg‘‘), auch der Vortrag von 
ERICH MARCKS über Imperialismus und Weltkrieg (in der Gehestiftung) hät- 
ten u. E. hier benutzt oder doch wenigstens erwähnt werden können. Die allge- 
meine historische Anwendung des Begriffs durch S. führt unwillkürlich zu einer 
Abschwächung seiner besonderen Bedeutung während der jüngsten Periode. 
Doch bleibt von diesem Einwand das Verdienst des Verfassers unberührt, 
zum ersten Male den „Werdegang des britischen Reichs vom Mittelalter bis 
zur Gegenwart‘‘ vom bisher vernachlässigten Standpunkte des äußeren Wachs- 
tums aus verfolgt zu haben. — Im Anschluß an die zusammenhängende Würdi- 
gung des Buches hier noch ein paar kritische Einzelheiten. Die von W. BuscH 
der Tudor-Epoche beigelegte Bezeichnung als ‚„aufgeklärter Absolutismus“ 
hält S. für „zu sehr modernisiert“ (8. 34) und möchte statt dessen 
lieber von einem ‚„verfassungsmäßigen‘‘ Absolutismus dieses Herrscherhauses 
reden, weil er „die Grenzen, die die Verfassung steckt, innehält‘‘. Uns scheint
	        
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