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Lebensaufgabe Chamberlains gewesen. Stellt man dieses Streben nach
innerer Kohäsion in den Mittelpunkt der Betrachtung, wie es ja eigentlich
der Begriff ‚„‚Reichsbildung‘“ erfordert, so kann man sagen, daß der Imperialis-
mus bisher in seinen sämtlichen historischen Erscheinungsformen Schiffbruch
erlitten hat. ‚‚Der mittelalterliche Imperialismus scheiterte am Widerstande
gegen die Idee des modernen Staates (gemeint ist doch zunächst bloß die
Herausbildung eines besonderen geschlossenen französischen Staatswesens);
der merkantilistische an der Nichtachtung des aufstrebenden Nationalbe-
wußtseins und Selbständigkeitsgefühls in den Kolonien‘; der Imperialismus
der Freihandelszeit „vertagte das Problem einer Organisation des Reichs-
besitzes‘‘, und der moderne Imperialismus ‚führte eine Weltkatastrophe herbei,
weiler sich mit dem Nebeneinander gleichberechtigter Weltmächte nicht abzu-
finden verstand“. Vielmehr nicht abfinden konnte, wieS. auch an anderer
Stelle ausführt; denn das ward die verhängnisvolle Notwendigkeit für das
britische Imperium: Wollte man die in beispiellosem Fortschritt erreichte
Machtstellung wahren, so mußte jede den britischen Interessen zuwiderlau-
fende Veränderung des status quo hintangehalten werden. Der riesige Körper
des „empire‘‘ hatte mehr als eine Achillesferse, und seine übergroße Reiz-
barkeit und Anfälligkeit machte eine dauernde Prophylaxis erforderlich. Darin
lag aber der unerträgliche Anspruch auf eine Vormund- und Richterstellung
über die Welt. Das alte Problem der abendländischen Staatengesellschaft:
Universalreich oder koordiniertes Staatensystem, im historischen Verlauf
stets zugunsten der zweiten Alternative entschieden, kehrt auf planetarischer
Bühne wieder und ein Weltkrieg soll diesmal die Antwort darauf geben. Auf den
besonderen Charakter des englischen Imperialismus im Vergleich zu dem anderer
Mächte, namentlich Deutschlands, möchte man im Schlußkapitel des SALOMON-
schen Buches (das die Ausmündung in den Weltkrieg behandelt) gern noch ge-
nauer hingewiesen sehen. Die Ausführungen OTTO HınTzes über den Gegen-
stand (zuletzt in „Deutschland und der Weltkrieg‘‘), auch der Vortrag von
ERICH MARCKS über Imperialismus und Weltkrieg (in der Gehestiftung) hät-
ten u. E. hier benutzt oder doch wenigstens erwähnt werden können. Die allge-
meine historische Anwendung des Begriffs durch S. führt unwillkürlich zu einer
Abschwächung seiner besonderen Bedeutung während der jüngsten Periode.
Doch bleibt von diesem Einwand das Verdienst des Verfassers unberührt,
zum ersten Male den „Werdegang des britischen Reichs vom Mittelalter bis
zur Gegenwart‘‘ vom bisher vernachlässigten Standpunkte des äußeren Wachs-
tums aus verfolgt zu haben. — Im Anschluß an die zusammenhängende Würdi-
gung des Buches hier noch ein paar kritische Einzelheiten. Die von W. BuscH
der Tudor-Epoche beigelegte Bezeichnung als ‚„aufgeklärter Absolutismus“
hält S. für „zu sehr modernisiert“ (8. 34) und möchte statt dessen
lieber von einem ‚„verfassungsmäßigen‘‘ Absolutismus dieses Herrscherhauses
reden, weil er „die Grenzen, die die Verfassung steckt, innehält‘‘. Uns scheint