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satz von konservativ und liberal so stark und gewaltsam vor sich
ging, daß die Regierung und fast auch die Verfassung davon
erschüttert wurde!®. Aber das sind doch Ausnahmen; wir dürfen
etwa in den Frauenstimmrechtskämpfen nicht sehen wollen, wie
1° In der Freihandelsfrage, wo Balfour nach der Ansicht guter Kenner
der englischen Politik den Konservativen ihre Aussicht auf weiter dauernde
Herrschaft dadurch verdorben hat, daß er das Chamberlainsche Schutzzoll-
programm nicht annahm und mit seiner ganzen Familiengruppe, den Cecils
und Lord Selborne innerlich Freihändler blieb, und in der Frage des Frauen-
stimmrechts, wo zweifellos die innere Standhaftigkeit der Regierung As-
quith schwer dadurch erschüttert wurde, daß die Kabinettsmitglieder sich
gegenseitig als teils aufrichtige Anhänger wie Grey und Birrell, teils auf-
richtige Gegner wie Asquith und Harcourt, teils aber auch unaufrichtige
Stimmenfänger wie Lloyd George und Churchill kannten. Von diesen Kreu-
zungen sind die Fälle, in denen einzelne Politiker aus gekränktem Ehrgeiz
von einer Partei zur andern übergehen und zur Bemäntelung einen Pro-
grammstreit mit ihrer Parteileitung suchen, bei der Betrachtung des Zwei-
parteiensystems streng zu scheiden; dafür ist Winston Churchill, wie schon
vorher sein Vater Lord Randolph, das Schulbeispiel. — Der Gegensatz
zwischen Pazifisten und Bellifisten hat sich zu Anfang des Kriegs ziemlich
genau mit dem Gegensatz der zwei Parteien gedeckt; die ersten bestan-
den aus Linksradikalen, die sich schon vorher in der Union of democratic
control zusammengefunden hatten, wie Ponsonby, Trevelyan, Holt, King;
die zweiten aus einer ebenfalls kleinen Gruppe von Rechtskonservativen
und Antisemiten, an deren Spitze sich Edward Carson stellt, sobald er nicht
mit einem Ministerposten befriedigt wird. Eine Quertreiberei ergab sich
dann daraus, daß ein eigener Verband für kräftige Kriegführung von jenen
Liberalen gebildet wurde, die im übrigen nur durch ihre gemeinsarne Eigen-
schaft als Emporkömmlinge und Anti-Intellektuelle zusammengehörten, unter
der Führung des Industriellen Markham; ihre Tätigkeit richtete sich zu-
nächst gegen Kitchener, dem Lloyd George entgegengesetzt wurde, und
Grey, dem ganz genau dieselben Vorwürfe gemacht wurden wie dem deutschen
Reichskanzler, später auch gegen Asquith und seine nächsten Amtsfreunde.
Neuerdings, seit dem russischen Zusammenbruch, ist andererseits eine Reihe
von ‚Altkonservativen auf die Seite der Anhänger eines Verständigungs-
friedens getreten; außer Lord Lansdowne, der ja kein Unterhausmann ist,
kann man Lord Hugh Cecil hierher zählen, der gegen den Vorschlag, den
Dienstpflichtverweigerern das Wahlrecht zu nehmen, am I. November 17
eine der bedeutendsten und eindruckvollsten Reden hielt, die das englische
Parlament in den letzten Jahren gehört; ebenso Lord Henry Cavendish-
Bentinck, der als jüngerer Sohn gleichfalls dem Unterhaus angehört.