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auch die Spottnamen in Schwang. Aus den irischen Sümpfen,
d. an Gespenstern so reich sind, steigt der Tory auf, der Moor-
läu:or, der blindlings hinter dem papistischen Herzog von YORK
hergeht, ein Yokel, auf den der englische Whig ungefähr so hin-
gesehen haben mag wie ein rheinpfälzisch-liberaler Reichsrat auf
den niederbayrisch-oberpfälzischen Landtagswähler. Von da an
kann ein König vertrieben und ein anderer eingesetzt, Schott-
land und Irland dem Reich einverleibt und neuerdings wieder
abgetrennt, das Parlament aus einer Notabelnversammlung in eine
so kurz und treffend das Wesen des englischen parlamentarischen Systems
gekennzeichnet hat, scheint damals schon genau so vor sich gegangen zu
sein wie unter Pitt, Fox und Burke, oder unter Gladstone und Disraeli.
Aber man muß dabei bedenken, daß diese Redner nur an ihre Gegner auf
der andern Seite des Hauses hinsprechen, nicht aus dem Fenster hinaus
zum Volk und nicht für die Galerie. Die Veröffentlichung der Berichte
war aufs strengste verboten; von manchen Debatten ist wohl der Grundriß
erhalten, aber von St. Johns (Lord Bolingbroke) Reden zum Beispiel, der
der glänzendste Sprecher seiner Zeit gewesen sein soll, ist nichts übrig ge-
blieben; von der Beredsamkeit des Kanzlers Cowper wissen wir aus seinen
Gerichtsreden, während sein Wort im Parlament ebenfalls fast spurlos ver-
hallt ist. Für den sich kreuzenden Einfluß des Hofes und der Straße sind
besonders die Wahlen aus der Regierungszeit der Königin Anna bezeichnend.
Von dem Einfluß, den früher die Whigs durch die Herzogin von Marlbo-
rough, später die Tories durch Abigail Hill (Lady Masham) auf die Königin
übten, hing die Besetzung der höchsten Staatsämter ab, die ihrerseits wie-
der die Patronage mit sich brachten. Im einzelnen kam noch die Abnei-
gung der Königin gegen diesen oder jenen Politiker wegen seiner Um-
gangsformen oder seines Aussehens — wie zum Beispiel gegen Robert
Harley in seiner späteren Zeit — und der Wettbewerb zwischen den Thron-
anwärtern in St. Germain und Hannover dazwischen; auch die religiösen
Gegensätze spielten mit; aber zuletzt entschied doch regelmäßig die Kam-
merfrau, die bei der Königin in Gunst stand. Andrerseits war die Straße
an den meisten Wahlausfällen auch sehr stark beteiligb; die Whigs machten
sich die Volkstümlichkeit des Generals, der in ihrem Parteilager stand, zu-
nutze, bis die Tories mit der Parole, daß eben dieser General und seine
Offiziere nur aus Habgier den drückenden Krieg zu verlängern trachteten,
ein wirksameres Wahlgeschrei gefunden hatten; im Jahr 1708 inszenierten
die Whigs einen Auflauf, bei dem der Papst, der Pretender und eine Minister-
karikatur als Strohmänner verbrannt werden sollten; 1710 benützten die
Tories den Sacheverell-Aufruhr mit noch besserem Erfolg.