— 60 —
Prozeß, den Whig und Tory mit einander führen, mehr ein
Unrechtsstreit als ein Rechtsstreit, schlechtes Advokatengezänk,
mit Mitteln der Formalistik geführt, die vor keiner modernen
Prozeßordnung Gnade finden würden. Sie haben alle die Art in
frischer Erinnerung, in der die Wahlrechtsvorlage der Regierung
und damit auch der Frauenstimmrechtsantrag im Januar zu Fall
kam. Aber zu andern Zeiten kommt dann auch die Güte dieser
Prozeßähnlichkeit des Parlamentsverfahrens heraus: eben die
Gleichheit der beiden Parteien, die Gleiehheit ihrer Waffen, die
Gleichheit der Regeln für ihren Kampf.
Davon ist im Kampf um die Stellung des Oberhauses viel
die Rede gewesen. Denn in der Tat hat jene Gleichheit, jenes
genaue Abgemessensein der Chancen für beide Parteien zwei
schwere tatsächliche Hindernisse, und es war ein Kampf des
Zweiparteiensystems um seine eigene Existenz, der zur Ueber-
windung der Hindernisse geführt werden mußte.
Das eine war die Parteilichkeit des Oberhauses. Sie ist in
einem Sinn unvermeidlich, sofern überhaupt die beiden Kammern
verschieden zusammengesetzt sind: Oberhaus, Pairskammer, Senat,
Rat der alten Staatsmänner, oder wie die erste Kammer heißen mag,
wird radikalen Reformen weniger geneigt sein sein als eine, viel-
leicht in wilder Aufwallung gewählte Volkskammer. Aber das.
englische Oberhaus war in einem engeren und kleinlicheren Sinn par-
teiisch: Die überwältigende Mehrzahl seiner Mitglieder, seiner
niemals wechselnden Mitglieder gehorchte der konservativen Par-
teimaschine ebenso willig, wie nur irgend ein Unterhausabge-
ordneter dem Einpeitscher seiner Partei folgt. Die Unabhängigen
fanden im House of Lords kein Gehör: Konferenzen zwischen dem
Führer der konservativen‘ Unterhausminderheit und dem Führer
der Oberhausmehrheit entschieden über das Schicksal der Gesetz-
entwürfe. Bills einer Toryregierung wurden blindlings ange-
nommen, Bills der liberalen Regierung ebenso blindlings abge-
lehnt. Die Klage der Liberalen, daß sie kein fair play mehr