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und staatlicher Moral gesucht. Der Staat habe weder keine noch die-
selbe Moral wie der Privatmann, sondern eine eigene Moral. Keines-
wegs „konstruiert“ er „eine unübersteigbare Kluft zwischen Moral und
Politik“ überhaupt, wie Franz (19f.) herauslesen zu müssen glaubt, son-
dern er zieht nur den allerdings scharfen Trennungsstrich zwischen der
staatlichen und der Einzelmoral (141). Auch Franz gibt zu, daß eine
Unterscheidung zwischen den beiden letzten durchaus ihre Berechtigung
hat. Man dürfe sie dabei nur nicht, wie es B. tue, als zwei selbständig
nebeneinander stehende ethische Wertsysteme, jedes mit seinen eigentüm-
lichen Gesetzen betrachten, sondern vielmehr als zwei verschiedenen Lebens-
gebieten entsprechende besondere Anwendungen des einen Sittengesetzes,
das keine Ausnahmen verstatte. (S. 12. 39. 42.) BAUMGARTEN, der den
Satz TREITSCHKES, der „Staat stehe notwendig unter dem Sittengesetz*
beifällig zitiert, will ihn doch nicht „einfach unter das allgemeine Sitten-
gesetz stellen“, das nach den „allgemeinmenschlichen Zielen der Menschen-
beglückung und des Menschheitsfortschritts“ orientiert sei (114). Diese
individuelle Färbung der politischen Moral also bekämpft er, die Neigung,
„die Prinzipien der individuellen Moral mit den Maßstäben des Sittlichen
überhaupt zu verwechseln“, wie es TROELTSCH einmal ausgedrückt hat.
Grade FRANZ ist ein Beispiel dafür. Wenn man wie er die Staatsmoral
als eine besondere Anwendung der Moral, nicht als eine besondere Moral
betrachtet, soll man das gerechterweise auch von der individuellen Moral
gelten lassen und nicht diese als absoluten Maßstab der Sittlichkeit auf die
Staatsmoral anwenden. BAUMGARTEN betont — unseres Erachtens mit
Recht — „die relative, d. h. auf gewisse Lebensgebiete beschränkte Geltung
sittlicher Maßstäbe“, er will aber deswegen durchaus nicht den Staat „vom
Sittengesetze dispensieren“ (23), die Politik moralfrei machen (24), prinzipiell
ihre ethische Beurteilung verwerfen (26), wie es FRAnz der von ihm be-
kämpften Richtung unterlegt. TREITSCHKE sagt an einer berühmten
Stelle, die Moralisten müßten erst erkennen, daß man das sittliche Urteil
über den Staat aus der Natur und den Lebenszwecken des Staates und
nicht des einzelnen Menschen schöpfen muß, was FrAnz mit dem Prädikat
„ausgezeichnet“ versieht. Nichts anderes aber will im Grunde der Relativismus
BAUMGARTENS, wenn er für die Politik ein „eigenes Ethos, eigene Maßstäbe
und Normen für ihre eigentümlichen Ziele“ (153) in Anspruch nimmt. Auch
in der Welt des Rechts ist ein ähnlicher Dualismus vorhanden, an dem
vermutlich FRANZ nichts zu beanstanden hat, nämlich zwischen den Normen
des ius publicum und ius privatum, man mag im übrigen zu diesen
Bezeichnungen stehen, wie man will! Gewiß muß „das Sittliche“, ebenso
wie „das Recht“ allgemein und ausnahmslos gelten, aber dadurch ist eine
verschiedene Interpretation seiner Gebote auf verschiedenen Lebensgebieten
nicht ausgeschlossen. FRANZ sagt selbst, man würde den Verteidigern einer
doppelten Moral „überhaupt nicht widersprechen können und dürfen“, wenn