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seine Untersuchung, die bekanntlich zu einem „Deutschen Reichsstaats-
recht sub specie der Reichsaufsicht“ ausgewachsen war, dem damaligen
Reichsstaatsrecht allerdings, soweit die positivrechtlichen Grundlagen in
Betracht kommen, also de lege lata durch die Ereignisse z. T. überholt
scheint!
Wie sich aber jetzt am stillen, jedoch intensiven Einflusse des Buches
nachweisen läßt, war gerade das Positivrechtliche nicht die Hauptsache
von TRIEPELs Untersuchung und konnte es gar nicht sein, da die Behand-
lung der Reichsaufsicht in der Bismarckschen Verfassung schon quantitativ
und qualitativ viel zu wenig befriedigend war, um ein Lebenswerk von so
beträchtlichem Umfange zu alimentieren. Daß die Vitalität des Buches
der staatsrechtlichen und politischen Sintflut entgangen ist, hat es
methodisch dem zielbewußten rationellen Bruch mit der sog. „Konstruktions-
jJurisprudenz“, die hier zum größten Teile versagen mußte, zu danken, in-
haltlich der kritischen Problemeinstellung de lege ferenda, die sich an
Hand von Erfahrungsschätzen Konflikten und Konfliktsmöglichkeiten zu-
wendet, die auch unter veränderten Verhältnissen wiederkehren müssen
oder wiederkehren können. Nicht zuletzt ging auch die Klassifizierung der
verschiedenen Arten von Aufsicht, für die erst eine mehr oder weniger
ansprechende Nomenklatur geschaffen werden mußte, über den zufälligen
engeren Rahmen der alten Reichsverfassung hinaus.
TRIEPELs Einwirkung läßt sich schon und gerade am äußeren Erfolge
der von ihm vorgeschlagenen Terminologie verfolgen, die sich in der Vor-
bereitung der neuen Reichsverfassung spiegelt und in der Glosse der ver-
schiedenen gangbarsten Kommentare von ANnscHÜTZ, GIESE, von POETSCH
und anderen ihre Fortsetzung findet. Es haben sich in dieser Hinsicht
auch Ausdrücke durchgesetzt, welche auf den ersten Blick nicht ganz ein-
leuchten mochten. So ist seither die Unterscheidung zwischen „selbständiger“
und „abhängiger“ Reichsaufsicht, je nachdem das Aufsichtsrecht unmittel-
bar aus der Verfassung fließt und auf den der Reichsgesetzgebung zugäng-
lichen, aber noch nicht durch Reichsgesetze angebauten Gebieten aus-
geübt wird (S. 370) oder aber das Vorhandensein besonderer reichsrecht-
licher Normen voraussetzt, . gang und gäbe geworden !, obzwar TRIEPEL
selbst (451 ff.) zum Ergebnis gelangt, daß auch die selbständige Reichs-
aufsicht bei Lichte besehen nichts anderes ist als ein kleiner Ausschnitt
aus dem großen Kreise der abhängigen Aufsicht, zumal die selbständige
Aufsicht, — wenngleich sie sich niemals auf die „Handhabung“ von Reichs-
gesetzen oder auf die Erfüllung von einzelnen, auf Grund der Verfassung
erlassenen Reichsgesetzen bezieht —,‚letzten Endes auf die Erfüllung der
Reichsverfassung selbst (namentlich vom Standpunkt des Reichsinteresses)
gerichtet ist.
1 Vgl. dazu auch AnscHürz, Die Verfassung des Deutschen Reichs
v. 11. Aug. 1919, 1921 S. 50.