nach SASSEN (S. 237) das Oberseeamt die Sache stets an das Seeamt
zurückverweisen, wenn dessen Spruch „einen direkten Verstoß gegen das
Seeunfallgesetz enthält“, so ist das gewiß zu viel gesagt; man wird der
höheren Instanz, wie im Straf- und Zivilprozeß, so auch schon im heutigen
Seeunfallverfahren etwas mehr Spielraum für die Art ihrer Entschließung
belassen müssen; ebenso geschieht es im Vorentwurf, $ 45. Den Schluß
der dogmatischen Bearbeitung des Gegenwartsrechtes bildet eine Kenn-
zeichnung der „rechtlichen Natur des Seeunfalluntersuchungsverfahrens“.
Zutreffend wird immer wieder betont, daß eigentlich zwei verschiedene
Verfahrensarten, obwohl miteinander verquickt, dennoch zu unterscheiden
sind: ein objektives, gerichtet auf Ermittlung der Ursachen des Seeunfalles,
und ein subjektives, worin über die Frage der Entziehung des Schiffer-,
Steuermanns- oder Maschinistenpatents befunden wird. Im ersten Falle ist
das Seeamt Verwaltungsbehörde und gibt als solche einen Spruch ab,
dessen Inhalt ein „begutachtendes Tatsachenurteil“ ist. Im andern Falle
wird das Seeamt als Verwaltungsgericht tätig und „entscheidet“ in einem
formenstrengen Streitverfahren, das weder Straf- noch Disziplinarverfahren
ist, über den etwaigen Antrag des Reichskommissars auf Entziehung der
Gewerbebefugnis. Nur gegenüber dem Streitverfahren ‚steht ein Rechts-
mittel offen, die Beschwerde an das Oberseeamt. Dessen Tätigkeit ist
dann also die eines Reichsverwaltungsgerichtes. Der in beiden Instanzen
zur Mitwirkung berufene Reichskommissar, dem Staatsanwalt vergleichbar,
ist „ein der Seeverwaltungsrechtspflege dienendes Organ der Reichsver-
waltung; seine sämtlichen Befugnisse sind nicht Funktionen der Reichs-
aufsicht, sondern der eigenen und unmittelbaren Reichsverwaltung in der
besonderen Gestalt der Verwaltungsrechtspflege“ (S. 269). Gedankengänge
dieser Art, wie sie mittlerweile in anderm Zusammenhange auch bei TRIEPEL
(Die Reichsaufsicht, 1917) Zustimmung gefunden haben, werden trotz der
neuen Reichsverfassung ihre Bedeutung nicht einbüßen.
Der fünfte, weit über hundert Seiten umfassende Hauptabschnitt ist
gesetzesbeurteilender Natur. Er schildert die Bestrebungen zur Verbesserung
des Gesetzes von 1877 und stellt sodann den erwähnten, annoch schweben-
den Vorentwurf des Reichsamts des Innern von 1909 in den Mittelpunkt
der Betrachtung. Dabei nimmt er negativ und positiv Stellung zu dem
Entwurfe, desgleichen zu der umfangreichen Kritik, die dieser, entsprechend
der Wichtigkeit des Gegenstandes, in nautischen und juristischen Kreisen
hervorgerufen hat. Darüber hinaus ließe sich aus verstreuten Aeußerungen
der Fachkörperschaften, wie z. B. des Vereins Hamburger Reeder oder der
Vorsteher der Kaufmannschaft zu Stettin, noch mancherlei Anregung ent-
nehmen und wird hoffentlich von den künftigen Gesetzesarbeitern ent-
nommen werden. Da nun zu den früheren Kritikern des Vorentwurfs
auch der Unterzeichnete gehört, versteht es sich, daß SASsENs Ansichten und
die seinigen vielfach übereinstimmen. Namentlich gilt dies für die oben