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„Der Standpunkt der Reichsregierung ist begründet. Der zweite Haupt-
teil der RV, mit der Ueberschrift „Grundrechte und Grundpflichten der
Deutschen“, in dessen zweiten Abschnitt „Das Gemeinschaftsleben® der
Art. 128 steht, enthält Bestimmungen der verschiedensten Art: allgemeine
Programmsätze ohne unmittelbare rechtliche Wirksamkeit, rechtlich bin-
dende Richtlinien für die Gesetzgebung, insbesondere der Länder, und mit
sofortiger Geltung in das bestehende Recht eingreifende Einzelvorschriften.
Welche Bedeutung einer Bestimmung beizumessen ist, muß nach ihrem
Wortlaut, Inhalt und Zweck, wie auch nach ihrem Zusammenhang mit
anderen Bestimmungen beurteilt werden. Danach kann der Vorschrift des
Art. 128 Abs. 2 der RV. die sofortige unmittelbare rechtliche Wirksamkeit
nicht abgesprochen werden. Es handelt sich nicht um einen allgemeinen
Programmsatz von der Art, daß es erst einer Ausführung durch Reichs-
oder Landesgesetze bedürfte, um der Vorschrift rechtliche Wirksamkeit zu
verschaffen. Das ergibt sich schon aus ihrer bestimmten Fassung. Es heißt
von den Ausnahmebestimmungen gegen weibliche Beamte zwar nicht „sind
beseitigt“, aber auch nicht „sind zu beseitigen“, sondern „werden beseitigt“.
Damit wird zum Ausdruck gebracht, daß solche Ausnahmebestimmungen
kraft der RV. ausgeschlossen sein sollen, und daß es nicht erst einer künf-
tigen Gesetzgebung vorbehalten bleibt, welche Folgerungen aus dem auf-
gestellten Grundsatze zu ziehen sind. Aus einzelnen Aeußerungen in der
Nationalversammlung, wie z. B.,, daß die Grundrechte die Grundlinien für
die Ausgestaltung der späteren Gesetzgebung geben, oder daß die Aus-
nahmebestimmungen gegen weibliche Beamte beseitigt werden müssen oder
sollen (Sten. Ber. S. 1636 ff.), lassen sich zuverlässige Anhaltspunkte für
die Bedeutung des Art. 123 Abs. 2 nicht gewinnen. Der offenbare Zweck
der Vorschrift, die als unbillig empfundene Ungleichheit in der beamten-
rechtlichen Behandlung der beiden Geschlechter für die Zukunft auszu-
schließen, spricht notwendig für ihre sofortige Geltung und der Zusammen-
hang mit anderen Bestimmungen, wie insbesondere die Stellung des Abs. 2
zwischen Abs. 1 und Abs. 3 des Art. 128, steht nicht entgegen. Nach Abs. 1
sind alle Staatsbürger ohne Unterschied nach Maßgabe der Gesetze und
entsprechend ihrer Befähigung und ihren Leistungen zu den öffentlichen
Aemtern zuzulassen. Diese Bestimmung bedarf schon nach ihrem Wort-
laut und ebenso nach ihrem Inhalt einer Ausführung durch besondere Vor-
schriften. Die Anwendung des Abs. 2 dagegen verlangt immer nur die
Prüfung, ob eine Vorschrift als Ausnahmebestimmung gegen weibliche
Beamte zu erachten ist. Und wenn nach Absatz 3 die Grundlagen des
Beamtenverhältnisses durch ein erst künftig zu erlassendes Reichsgesetz
zu regeln sind, so schließt das nicht aus, daß die RV. eine einzelne be-
sonders wichtige Frage heraushebt und sie von sich aus selbst schon ab-
schließend regelt (vgl. zu Art. 129 Abs. 4 RGZ.Bd.99 S. 261). Nach diesem
allem ist im Art. 128 Abs. 2 der klare und bestimmte Ausdruck des Willens