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Allerdings ist in der Theorie früher zum Teil ein anderer Stand-
punkt vertreten worden. LABAnD hat in der Monatsschrift für Handels-
recht und Bankwesen 1905 S. 89 ff. die Frage erörtert, ob ein Gesetz,
das mit dem Tage seiner Verkündung in Kraft tritt, auf alle von ihm
betroffenen Tatbestände, die während des ganzen Tages der Verkün-
dung eingetreten sind, Anwendung findet oder ob davon diejenigen
ausgenommen sind, die an diesem Tage vor erfolgter Ausgabe des
Gesetzblatts sich verwirklicht haben. Er führte aus, daß ein Gesetz
nicht schon vor seiner Verkündung Geltung beanspruchen könne. Der
Gesetzgeber würde damit etwas Widersinniges, Unmögliches anordnen;
er würde damit vorschreiben, daß etwas, was noch gar. nicht existiert,
also ein Nichts, Rechtswirkung haben soll. Lapann kam daher zu
dem Ergebnis, daß aus der Vorschrift, daß ein Gesetz „mit dem Tage
der Verkündung in Kraft tritt“, nicht geschlossen werden könne, daß
es Rückwirkung haben solle auf Rechtsakte, die vor der Gesetzes-
verkündung, wenngleich an demselben Tage vorgenommen worden
sind (vgl. auch Lasanv, Das Staatsrecht des Deutschen Reichs 5. Aufl.
Bd. II S. 84, Fußnote 1). Heınırz in der Deutschen Juristenzeitung
1905 S. 636 ff. ist noch weiter gegangen. Nach ihm könne die Frage
nur dahin formuliert werden, ob, wenn ein Gesetz mit dem Tage der
Verkündung in Kraft tritt, der für die Wirksamkeit des Gesetzes maß-
gebende Zeitpunkt der Beginn oder der Ablauf dieses Tages ist. In
entsprechender Anwendung der Auslegungsregel des $ 187 Abs. 1 BGB.
sowie mit Rücksicht auf den Umstand, daß der Tag als eine Zeitein-
heit anzusehen sei, müsse die Schlußfolgerung gezogen werden, daß,
wenn das Inkraftreten eines Gesetzes durch den Tag seiner Verkün-
dung bestimmt wird, als der maßgebende Zeitpunkt nicht der Beginn,
sondern der Ablauf dieses Tages anzusehen sei. Hrınırtz schlug daher
auch zur Vermeidung von Zweifeln vor, es möge in Fällen, in denen
ein Gesetz sofort mit seiner Wirkung in Kraft treten soll, bestimmt
werden, daß das Gesetz „mit Ablauf des Tages, an dem es verkündet
wird“ oder „mit dem Beginn des auf die Verkündung folgenden Tages“
in Kraft tritt. Zu der Auffassung von Hrınırz, daß in dem von ihm
besprochenen Falle des Inkrafttretens des Gesetzes, betr. Aenderungen
der Zivilprozeßordnung vom 5. Juni 1905 als maßgebender Zeitpunkt
für das Inkraftreten der Ablauf des 5. Juni 1905 anzusehen sei, hat
Eıckuorr (Deutsche Juristenzeitung 1905 .S. 688) m. E. zutreffend
entgegnet, daß das fragliche Gesetz selbst den Verkündungstag als
einen Zeitpunkt erklärt hat, und daß daher von einem Beginn und
Ablauf eines Zeitpunkts nicht gesprochen werden könne.