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Die Entscheidung des Reichsgerichts in Strafsachen Bd. 15 S. 200
scheint übrigens von der Voraussetzung ausgegangen zu sein, daß als
maßgebender Zeitpunkt bei Inkraftreten eines Gesetzes der Ablauf des
Verkündungstages anzusehen sei. Doch ist diese Frage dort nicht
näher untersucht worden.
Die Entwicklung der Gesetzgebungspraxis ist über die Einwände
von LapAnp und Heınıtz hinweggegangen. Vor dem Weltkrieg ist
ein Gesetz nur in ganz besonderen Ausnahmefällen mit dem Tage seiner
Verkündung in Kraft gesetzt worden. Die militärischen und wirt-
schaftlichen Zwangsverhältnisse des Krieges haben es mit sich gebracht,
fast alle Gesetzgebungsakte während des Krieges sofort mit ihrer Ver-
kündung in Kraft treten zu lassen. Die Bedürfnisse der Praxis und
der Zwang der Verhältnisse haben eine Untersuchung darüber gar nicht
zugelassen, ob ein Rechtsakt an dem Verkündungstage etwa vor der
tatsächlichen Ausgabe des Gesetzblatts oder erst nachher vorgenommen
worden ist. So hat sich kraft Rechtsentwicklung ganz allgemein der
Grundsatz ausgebildet, daß alle an einem Tage vorgenommenen Rechts-
akte von einem an diesem Tage in Kraft gesetzten Gesetze ohne weiteres
erfaßt werden. Es mag zugegeben werden, daß sich hieraus unter
Umständen Unzuträglichkeiten und Unbilligkeiten ergeben hönnen.
Allein diese müssen gegenüber den Forderungen und den Interessen
der Allgemeinheit, dievielfach ein sofortiges Inkrafttreten von Gesetzen
erheischen, zurücktreten.
Nach Art. 71 der RV. treten Reichsgesetze, soweit sie nichts
anderes bestimmen, mit dem 14. Tage nach Ablauf des Tages in Kraft,
an dem das Reichs-Gesetzblatt in der Reichshauptstadt ausgegeben
worden ist. Der Ausdruck „mit dem 14. Tage“ bezeichnet den Beginn
des 14. Tages (Gıese, Die Verfassung des Deutschen Reichs 1919,
Anm. 3 zu Art. 71) und nicht den Ablauf des 14. Tages. Was aber
für den 14. Tag nach Ablauf des Ausgabetages gilt, muß gleichmäßig
gelten für den Tag der Verkündung, wenn dieser kraft Gesetzes als
der Zeitpunkt erklärt ist, von dem ab das Gesetz gelten soll. Bei
der Gleichheit der Ausdrucksweise kann nicht in dem einen Fall der
Beginn, in dem anderen Fall das Ende des Tages als maßgebender
Zeitpunkt angesehen werden. Es wird daher auch in der Gesetzgebungs-
praxis wohl unterschieden, ob ein Gesetz, das sofort in Kraft treten
soll, mit dem Tage der Verkündung, also mit dem Beginn des Ver-
kündungstages, oder erst mit dem Ablauf des Verkündungstages in
Kraft treten soll. Ist letzteres beabsichtigt, so wird herkömmlich die
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