Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 41 (41)

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sammendrängende Widergabe der wirklichen Geschehnisse. Wohl aber war 
der Krieg 1870 ein Präventivkrieg. Und wenn ÖOETKER dies leugnet, so 
sieht er sich in gewissem Widerspruch zu seiner eigenen Auffassung, daß 
unser größter Staatsmann wenigstens den Eventualdolus gehabt habe: In 
der Tat hat Bismarck losschlagen wollen, ehe die Tripelallianz Frankreich, 
Oesterreich, Italien zustandekam. 
Was nun MENDELSSOHN-BARTHOLDYs temperamentvolle Schrift anlangt, 
so ist sie eine längst geboten gewesene Rechtfertigung unserer Diplomatie. 
Gewiß saßen vor Kriegsausbruch an einigen wichtigen Plätzen Diplo- 
maten, deren Fähigkeiten in umgekehrtem Verhältnisse zu dem hohen Amt 
standen, das sie bekleideten. Aber — und das hebt MENDELSSOHN-BAR- 
'THOLDY scharf hervor — man darf doch nicht generell die Diplomaten 
büßen lassen für falsche Weisungen oder Unschlüssigkeit der Staatskanzlei. 
Seitdem der Verfasser dies niederschrieb, ist noch ein besseres Beispiel 
dafür beizubringen als die Warnungen TScHIRSCHKys aus Wien: Vielleicht 
kein Buch belegt die Richtigkeit des M.schen Satzes besser als ein Studium 
unserer Beziehungen zu Amerika an der Hand der ausgezeichneten Aus- 
führungen des Grafen BERNSTORFF!, der, auf schwerstem Außenposten, bis 
zuletzt den Zusammenprall Deutschlands mit dem stärksten Neutralen und 
damit unsere Niederlage zu verhindern suchte, aber von Berlin nicht gehört 
wurde. Wie denn auch unsere Vertreter in Wien und Rom in gewissem 
Sinne bei den wichtigen Verhandlungen über die Stellung Italiens bei 
Ausbruch des Weltkrieges im Dunkeln getastet haben, weil sie den damals 
noch geheimen (ach, allzu geheimen!) Dreibundvertrag noch nicht kannten!! 
Auch die andere Feststellung, daß Berufsdiplomatie weder unbedingt 
zu preisen noch unbedingt zu verwerfen sei, ist zutreffend — wie denn 
Diplomaten mit wie ohne Fachbildung Hervorragendes geleistet haben (wo- 
bei mir freilich prinzipiell doch ein Mehr für berufsmäßige Diplomaten 
zu sprechen scheint und erst recht dafür, nur fachlich geschulte Persönlich- 
keiten zur Leitung der auswärtigen Angelegenheiten zu berufen. Vestigia 
— seit der Revolution! — terrent!\.. Für die Außendiplomaten aber ist 
jedenfalls das Wichtigste, daß der Vertreter einen bestimmten festen Kurs 
hat und nicht Anweisungen erhält, die morgen widerrufen, was ihm heute 
aufgetragen wurde. Wo aber das Volk seine Geschicke selbst (durch die 
öffentliche Meinung oder gar durch den Parlamentarismus) in der Hand hat, 
da tadle es sich selbst, wenn es sich einen unfähigen Leiter der auswärtigen 
Politik gewählt hat — „es sei denn ein grausames und feiges Volk, ein 
Volk, das zur Entschuldigung seiner eigenen Fehler nur den Sündenbock 
schlachten möchte, den es sich zuerst zum Gärtner gesetzt hatte“. Und: 
„Die Berichte der Gesandten richtig zu hören, ihnen klar und stetig Rich- 
tung zu geben, aber dann auch die Stange zu halten....., das ist Sache 
des leitenden Staatsmannes. Den rechten Mann an die Spitze zu stellen, 
ı Deutschland und Amerika, Berlin, Ullstein & Co., 1920.
	        
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