Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 41 (41)

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der Verfassung von 1919 doch sehr häufig das unerfreuliche Produkt von 
Kompromissen, durch die bestehende Diskrepanzen mehr oder weniger 
geschickte Verkleisterung erfahren haben. Die Aufnahme der Grund- 
rechte in die Verfassung, an sich eine Konzession teils an geschicht- 
liche Reminiszenzen aus den Tagen der Paulskirche, teils an neue, in der 
Revolution von 1918 bis zur Bewußtlosigkeit wiederholte Schlagworte, gibt 
NAWIASKY eingangs und dann wieder in einem besonderen, den Grund- 
rechten und -pflichten gewidmeten Abschnitt, Anlaß zu manch treffender 
Bemerkung über den häufigen Widerspruch zwischen einer volltönend pro- 
klamierten Idee und ihrer praktischen Durchführbarkeit. Mit Recht weist 
er — wie z.B. auch LENEL in einer sehr feinen und lesenswerten Schrift? 
— auf die Schwierigkeit hin, im Einzelfall zu erkennen, ob ein bindender 
Rechtssatz oder nur ein politisches Programm als Richtschnur für den zu- 
künftigen Gesetzgeber im Einzelfall geschaffen worden ist. Und mit feinem 
Spott zeigt er, wie der Gesetzgeber häufig gerade im Rahmen der Grund- 
rechte selbst durch Ausnahmebestimmungen oder einschränkende Normen 
das Prinzip zur Ausnahme, die Ausnahme zur Regel erhebt (vgl. bes. 8.14). 
Wenn NAwIaskKY-(S. 17) auf eine Reihe formeller Mängel aufmerksam 
macht, so wäre ihnen — nicht als einziger! — noch ein sehr bedenklicher 
hinzuzufügen: Es ist Artikel 17, Abs. 1. Denn hier heißt es von der Volks- 
vertretung der Einzelstaaten, daß sie „von allen reichsdeutschen Männern 
und Frauen gewählt werde“. Mit dieser übrigens auch materiell durchaus 
unglücklichen Bestimmung? soll ja nur gesagt werden, daß jeder Deutsche 
in jedem Bundesstaate auch zu dessen Parlament wahlberechtigt sei. 
Erscheint die neue Verfassung NAwIASKY als nicht das goldene Rechtsbuch 
des deutschen Volkes, vielmehr als ein Werk „voller Widersprüche im Wollen, 
und Können, im Wollen und Wollen, im Wollen und Wissen, so erkennt 
? über die Reichsverfassung. Freiburg i. Br. Freiburger Wissenschaft- 
liche Gesellschaft. 1920. 
8 Vgl. LENEL a. a.0. 27: „nicht einmal ein längerer Wohnsitz im Lande 
ist gefordert, so daß sehr wohl eine Partei ein paar Tausend Wähler z.B. 
von Württemberg nach Baden kommandieren könnte, um hier irgendwo 
die Wahlen zu entscheiden“. 
* Wenn Nawıasky 19 übrigens von Ansätzen zu Bekenntnissen na- 
tionalen Stolzes, gemischt mit Verbeugungen vor den tönenden, schein- 
heiligen Phrasen unserer Feinde spricht und dabei auf Art. 4, der ledig- 
lich Zweckmäßigkeitserwägungen sein Dasein verdankt und den lästigen 
Umguß von Völkerrecht in Landesrecht bei Universal völkerrechtssätzen 
vermeiden will, auf die „Völkerversöhnung“ in Art. 148 (noch schärfer 
LENEL 5) und die Berücksichtigung der fremdsprachigen Volksteile ver- 
weist, so führt dies m. E. doch zu weit. Eine Völkerversöhnung ist trotz 
des Versailler Friedens unbedingt anzustreben, freilich nicht durch Gewinsel 
und feiges Schuldbekenntnis, sondern durch nationalen Internationalismus,.
	        
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