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zu bescheiden, wenn STIER-SOMLO, der im übrigen eine größere Arbeit in
Aussicht stellt, im Vorwort seine vorliegende Darstellung nur als einen
Ueberblick gewertet wissen will. Das widerlegt nicht nur seine rechts-
geschichtliche Einleitung, das zeigt auch der zweite Teil „Das Recht der
Verfassungsurkunde“. Hier wird zunächst festgestellt, daß das Verfassungs-
recht nicht abschließend in der Reichsverfassung enthalten ist, sondern nur
das Grundsätzliche. Das ist von besonderer Wichtigkeit im Hinblick auf
die zahlreichen Vorbehalte in der Urkunde selbst, ‘deren Erledigung erst eine
verhältnismäßig erschöpfende endgültige Verfassungsgestalt wiedergeben
wird.
Prägnant wird das Reich definiert als ein auf Volkssouveränität be-
ruhender republikanischer Bundesstaat auf der Grundlage der Demokratie
und der parlamentarischen Regierungsweise. In der Begriffsbestimmung ist
vor allem die Anerkennung der Bundesstaatsnatur von großer Bedeutung.
Sie deckt sich mit der Auffassung JELLINERs’, steht aber im Kontrast zu
der Meinung GIESEs, der (S. 63) namentlich aus Art. 17, 18, 76, 5 ableiten
will, daß das Reich ein dezentralisierter Einheitsstaat geworden sei. Seine
Argumentation erscheint mir nicht überzeugend. Mag auch der Kreis, inner-
halb dessen die Gliedstaaten Hoheitsrechte auszuüben berechtigt sind, sich
gegenüber der Reichsverfassung von 1871 wesentlich verringert haben, so
sind sie doch noch so lange Staaten, als die drei Elemente des Staatsbe-
griffs, wie wir oben bei der Betrachtung des NawıAsKkyschen Buches be-
tont haben, vorhanden sind. Daran vermag auch die ohne tiefere juristische
Absichten gewählte Bezeichnung als Länder® nichts zu ändern, wie denn
sogar verschiedene südamerikanische Bundesstaaten ihre Glieder ausdrück-
lich als Provinzen bezeichnen, ohne sie deshalb aber rechtlich zu solchen
degradieren zu wollen (vgl. auch STIER-SOMLO 79, JELLINEK 69 ff., bes. 80).
Sehr wichtig und wertvoll ist derjenige Abschnitt in STIER-SOMLOs Buch,
der sich mit dem geltenden Verfassungsrecht über das Verhältnis des Reichs
zu den Ländern beschäftigt. Hier wird zunächst das unitarische Element
in den drei Staatsfunktionen und der Reichsaufsicht, sodann das föderative
ausgemittelt und dargestellt (S. 90-103). Daran schließen sich Ausfüh-
rungen über Gebiet und Staatsangehörige, wobei — ein neuer Beweis, daß
das Buch in der Tat mehr ist als ein „Ueberblick“! — auch die Frage er-
örtert wird, ob in Zukunft irgendwelche Staatenverbindungen im Reiche
” Sie ist übrigens herrschende Meinung. Vgl. noch MEISSNER a. a. O. 26,
ZWEIGERT, Verfassung des Deutschen Reiches, 1919, S. 12; ARNDT, Reichs-
verfassung, 1919, S. 232, BORNHAK, Verfassung des Deutschen Reiches,
1919, S. 2 (zweifelnd), PoETzZscH, Handausgabe der Reichsverfassung, 1919,
S. 28 (zweifelnd).
® Uebrigens ist der Name „Staat“ im Gegensatz zu „Reich“ an zahl-
reichen Stellen der Reichsverfassung gewählt: so richtig STIER-SOMLO 81.